Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Zweiter Band. Der Bundesrat des Zollvereins (1868-1870) und der Bundesrat des Deutschen Reichs (1871-1873). (2)

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Antrag Lasker-Miquel wegen Erweiterung der Kompetenz 
der Reichsgesetzgebung auf das gesamte bürgerliche Recht und 
die Gerichtsverfassung. Noch aus der vorigen Session lagen dem 
Bundesrat zwei Anträge aus dem Justizausschusse (ein die Abweisung des 
Reichstagsbeschlusses befürwortender Mehrheitsantrag und ein die Zustimmung 
empfehlender Minderheitsantrag) vor, 1) welche der Erledigung harrten. Die 
Angelegenheit kam in der Sitzung des Bundesrats vom 9. April 1872 zur 
Sprache, gelangte aber auch da noch nicht zum Abschluß. 
Der als Referent fungirende württembergische Bevollmächtigte, Staats- 
minister v. Mittnacht führte aus: Indem er den Mehrheitsantrag (auf Zurück- 
weisung des Reichstagsbeschlusses) befürworte, sei es nicht seine Meinung, daß 
die durch Nr. 13 des Artikels 4 der Reichsverfassung gezogene Grenze der 
Reichskompetenz strikte für alle Zukunft einzuhalten wäre. Die württembergische 
Regierung werde angemessenen Erweiterungen der Zuständigkeit der Reichs- 
gesetzgebung im einzelnen Fall nicht entgegentreten und insbesondere der Ab- 
fassung eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Reich lebhaftes Interesse und 
jede ihr mögliche Förderung zuwenden. Zufolge Beschlusses des Norddeutschen 
Bundesrats vom 21. Februar 1870 sei der Entwurf eines Bundesgesetzes über 
die Gerichtsverfassung und die gerichtlichen Institutionen in Vorbereitung. Für 
eine Mitteilung über den Stand dieser Arbeit an den Deutschen Bundesrat 
würde die von ihm vertretene Regierung besonders dankbar sein. Er sei der 
Ansicht, daß bei einem in die einzelstaatlichen Verhältnisse so tief eingreifenden 
Gegenstande eine Mitwirkung der Bundesstaaten schon bei der ersten Aufstellung 
des Gesetzentwurfs von besonderem Interesse wäre. Das Ziel, die Grundzüge 
einer gemeinsamen Gerichtsorganisation auch ohne strikte Einhaltung der durch 
die bestehende Reichsverfassung gezogenen, ohnedem etwas zweifelhaften Grenze 
durch Reichsgesetze zu erhalten, ließe sich auch ohne Aenderung der Reichs- 
verfassungsurkunde durch gemeinsame Arbeit und Verständigung erreichen. Würde 
dieser Gedanke Anklang finden, so wäre wohl seine nähere Erörterung freier 
Besprechung innerhalb oder außerhalb der Ausschüsse anheim zu geben. 
Der bayerische Bevollmächtigte gab die Erklärung ab, daß er sich den 
fraglichen Reichstagsbeschlüssen gegenüber ablehnend verhalten werde. Er bezog 
sich in allen Punkten auf die Gründe des Mehrheitserachtens im Berichte der 
Ausschüsse für die Verfassung und das Justizwesen vom 9. Dezember 1871 
und wollte hinsichtlich der beantragten Erweiterung der Reichskompetenz in 
Absicht auf das gesamte bürgerliche Recht nur noch darauf aufmerksam machen, 
wie die dem Gesetzentwurfe gegebene Fassung die Befugnis des Reichs in sich 
1) Vgl. oben S. 215 und zum folgenden die „National-Zeitung“ Nr. 169 vom 
11. April 1872, Nr. 274 vom 15. Juni 1872, Nr. 287 vom 22. Juni 1872. Schulthes 
Geschichtskalender 1872 S. 113 (Debatte in der sächsischen Ersten Kammer über die Ab- 
gabe der sächsischen Stimme im Bundesrat, a. a. O. S. 99).
	        
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