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ihres Gesandten die Angelegenheit wieder angeregt, und der Reichskanzler hatte,
davon ausgehend, daß eventuell eine gleichmäßige Regelung des Verfahrens
für das Reich anzustreben sein werde, die betreffende bayerische Note vom
13. Februar 1872 1) dem Bundesrat übergeben und dadurch eine Erwägung
der Angelegenheit eingeleitet. In der Note wurde zur Vereinfachung vor-
geschlagen, daß die bezüglichen Mitteilungen nicht mehr auf diplomatischem Wege
und mit höherer Beglaubigung, sondern einfach von Behörde zu Behörde erfolgen
und daß die Einrichtung für das ganze Reich in Kraft treten solle. Zwischen
Bayern und Mürttemberg bestand ein solches Abkommen bereits seit 1859.
Auch mit anderen deutschen Regierungen hatte Bayern seit 1861 Verträge in
derselben Richtung geschlossen, die aber noch den umständlichen Weg des diplo-
matischen Austausches der Mitteilungen feststellten.
Bayern hatte 1871 bei dem Bundesrat den Antrag gestellt, mit dem
Reichstage ein Gesetz zu vereinbaren, durch welches die Todeserklärung
der im letzten Kriege Verschollenen nach zeitgemäßen Grundsätzen ge-
regelt werde. Diesem Antrage wurde nicht Folge gegeben, weil man es für
zweckmäßig hielt, den Weg der Gesetzgebung der Einzelstaaten zu betreten.
Der Justizausschuß des Bundesrats beschäftigte sich in eingehendster Weise
mit dem Reichstagsbeschluß vom 12. Juni 1872 über die Verfassungs-
verhältnisse des Fürstentums Ratzeburg?) und erstattete darüber
einen Bericht. Derselbe begann mit einem geschichtlichen Rückblick und kam
dann auf den früheren Beschluß des Bundesrats über dieselbe Angelegenheit
vom 1. Mai 1870 zurück, welcher die Erklärung abgab, daß eine Verfassungs-
streitigkeit im Sinne des Art. 76 der Bundesverfassung nicht vorliege und daß
die Beziehungen des Fürstentums zu Mecklenburg-Strelitz nach den Erklärungen
des Bundesbevollmächtigten als vollständig geregelt erachtet werden müßten.
Derselbe Ausschuß entschied ferner über einen Antrag eines elsaß-
lothringischen Bürgers, betreffend Rechtshilfe gegen einen katho-
lischen Geistlichen, auf Abweisung des Petenten. Es handelte sich um Zurück-
weisung eines Schreiners von der Teilnahme an einer Prozession durch einen
Geistlichen. Der Schreiner beantragte wegen öffentlicher Beleidigung bei der
Strafkammer des Kaiserlichen Landgerichts zu Saargemünd Bestrafung des Geist-
lichen. Das Landgericht hatte diese Klage als „zur Zeit“ unzulässig abgewiesen,
weil im vorliegendem Falle nach Lage der französischen Gesetzgebung die Sache
zur Kognition des Staatsrats zu bringen war. Da nun an Stelle desselben der
Bundesrat getreten war, so verlangte der Schreiner von diesem die Ermächtigung
zur Verfolgung des Geistlichen. Der Bundesrat wurde von dem Ausschuß
1) In Kohls Bismarck-Regesten nicht erwähnt.
2) Vxgl. Bd. I. S. 193.
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat. II. 21