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Zur Vervollständigung dessen, was Riecke oben von einzelnen denkwürdigen
Tagen angedeutet hat, ferner als Erinnerung auch an seine persönlichen Be—
gegnungen mit Bismarck, endlich zugleich zu einiger Veranschaulichung des
bewegten Lebens eines Bundesratsmitglieds in jener Zeit überhaupt lasse ich
nunmehr noch Auszüge aus seinen Briefen und Tagebüchern vom Jahre 1868
im Anhange folgen:
„An einem trüben Novemberabend des Jahres 1863 hatte ich mit anderen
Kommissaren, welche die Verhandlungen wegen Erneuerung der Zollvereins-
verträge zu Berlin vereinigt hatten, 1) in dem Ministerhotel Nr. 76 der Wil-
helmstraße mich eingefunden, um bei Bismarck zu speisen.:) Nicht wenig
waren wir enttäuscht, als uns im Empfangszimmer, statt des Einladenden,
der Handelsminister Graf Itzenplitz mit den Worten begrüßte: Herr v. Bismarck
lasse sich entschuldigen, er sei beim Könige. Doch verging keine halbe Stunde,
so erschien in unseren Reihen ein hochgewachsener Herr, der mit schüchternem
Tone und weicher Stimme fast abgebrochene Reden führte, er habe bis jetzt
darauf verzichten müssen, uns zu sehen, und selbst heute habe eine Störung
gedroht. Das war Herr v. Bismarck-Schönhausen. Man setzte sich darauf zu
Tisch und nach dem Diner erst, als Cigarren gereicht wurden und ich dankte,
wendete sich unser Wirt gegen mich: es sei im Grunde schade, daß man nicht
auch im Abgeordnetenhause rauchen dürfe, manche heftige Scene — es war
die Konfliktszeit — würde dann wohl schon der Cigarre zu lieb unterbleiben.
Ich konnte nicht umhin, den Vers zu citiren: „Wo man raucht, da magst du
ruhig harren, böse Menschen rauchen nie Cigarren!" Von da an war Bis-
marck öfter bei den zu unseren Ehren erfolgten Einladungen gegenwärtig und
will Geßler, mein Oberkollege, von ihm schon damals das ganze Parlaments-
projekt mit allgemeinem Wahlrecht, und ich glaube auch vorerst mit der Main-
linie, entwickelt gehört haben. Mit mir hat er zu jener Zeit nur noch einmal
gesprochen: wie fremd er in Berlin geworden sei, er kenne dort nur die Wege
von der Wilhelmstraße in das königliche Palais und zum Abgeordnetenhaus,
so daß er neulich, zufällig vor den Bau der neuen Börse geführt, diese für das
Rathaus gehalten hatte.
„Als ich am 29. September 1864 mit Graf Zeppelin wieder in Berlin
eintraf, um die württembergische Beitrittserklärung zum Zollvereinsvertrag zu
überbringen, erhielten wir bei Bismarck alsbald Audienz. 3) Er war nachlässig
gekleidet, in einen alten Zivilrock, mit seidenem Tuch um den Hals, sprach von
1) Näheres über die am 5. November 1863 begonnene Konferenz siehe in Webers
Geschichte des deutschen Zollvereins. Leipzig 1869, S. 426.
2) In Kohls Bismarck-Regesten ist diese Zusammenkunft mit den Zollvereinskommissaren
nicht erwähnt.
3) Auch dieses Datum ist in Kohls Bismarck-Regesten nachzutragen.