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eher vorzugehen, als bis dieselbe durch eine Enquête genügend vorbereitet sein
werde. Dementsprechend brachte der Reichskanzler beim Bundesrat den Antrag
auf Anstellung einer Enquête ad hoc ein.
Der Ausschuß für Handel und Verkehr richtete darauf an den Bundesrat
folgenden Antrag: Der Bundesrat wolle sich damit einverstanden erklären:
1. daß über die Fragen a) ob und inwieweit die Werke der bildenden Kunst
gegen unbefugte Nachbildung in Erzeugnissen der Industrie, der Fabriken, Hand-
werke und Manufakturen zu schützen seien, b) ob den Erzeugnissen der Kunst-
industrie ein Schutz gegen unbefugte Nachbildung gewährt werden solle, und
c) ob sich die Einführung eines allgemeinen Musterschutzes empfehle, auf Kosten
des Reichs eine Enquete stattfinde, und zwar in der Weise, daß einzelne zur
Erörterung der betreffenden Verhältnisse besonders geeignete Persönlichkeiten aus
dem Stande der Künstler und Industriellen nach vorgängiger schriftlicher Mit-
teilung der hauptsächlichsten Fragepunkte durch den Bundesratsausschuß für
Handel und Verkehr unter Zuziehung von Kommissaren des Reichskanzler-Amts
mündlich vernommen werden; 2. daß die Vorbereitungen dieser Enquête, ins-
besondere die Auswahl der Sachpverständigen, letzteres jedoch nach Vernehmung
der einzelnen Bundesregierungen, durch das Reichskanzler-Amt erfolgen.
Der Bundesrat beschloß in diesem Sinn. 1)
Erweiterung der Reichskompetenz bezüglich der Seeschiffahrts-
zeichen. Wie aus dem Berichte der vereinigten Ausschüsse des Bundesrats
für das Seewesen und für Handel und Verkehr zu ersehen, hatten Preußen
und Oldenburg dem vom Reichstag beschlossenen Zusatz zu Artikel 4 der Reichs-
verfassung Nr. 9, wonach auch die Seeschiffahrtszeichen und das Lotsenwesen
der Beaufsichtigung und der Gesetzgebung des Reiches unterworfen sein sollen,
unbedingt zugestimmt, während Mecklenburg der Ansicht war, daß das Lotsen-
wesen durch die Gewerbeordnung genügend geregelt sei. Bremen wollte
außerdem die Schiffahrtszeichen, welche der Seeschiffahrt ihren Weg aus dem
Meere zu den verschiedenen Häfen weisen, unter die Aufsicht des Bundes stellen,
während Mecklenburg diese Zeichen der Verwaltung des Hafens anheimgeben
wollte, da ihre Einrichtung lokaler Natur sei. Lübeck und Hamburg erklärten
sich gegen den Gesetzentwurf, weil für denselben weder eine genügende Ver-
anlassung noch ein Bedürfnis vorliege. Später änderten Oldenburg und Bremen
ihre Stellung zur Sache, Oldenburg versagte seine Zustimmung. Im Aus-
schusse waren die Ansichten geteilt, fünf Stimmen für, fünf gegen die Annahme
der Grumbrechtschen Gesetzentwürfe; die Ausschüsse stellten demnach dem Bundesrat
die Entschließung anheim.
1) Vorlage des Reichskanzlers, betreffend den Entwurf einer Uebereinkunft mit Ruß-
land über den gegenseitigen Schutz der Warenbezeichnungen, „Norddeutsche Allgemeine
Zeitung“ Nr. 145 vom 25. Juni 1873.