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Nach dem Protokoll der Bundesratssitzung vom 28. Februar 1873 wurde
die Ausdehnung der Reichskompetenz auf die Seeschiffahrtszeichen mit 45 gegen
9 Stimmen beschlossen. Mecklenburg behielt sich vor, auf den bereits im Aus-
schuß gemachten Vorschlag zurückzukommen, daß die Herstellung und Unterhaltung
der am offenen Meere belegenen Schiffahrtszeichen sowie die Aufbringung der
hierfür erforderlichen Kosten auf das Reich übergehen sollen. Die Ausdehnung
der Reichskompetenz auf das Seelotsenwesen wurde abgelehnt; Württemberg
hielt vorläufig an der Ansicht fest, daß die Bestimmungen der Gewerbeordnung
die gewünschten Reformen ermöglichten. Gesetz, betreffend einen Zusatz zu dem
Artikel 4 Nr. 9 der Reichsverfassung, vom 3. März 1873 (Reichs-Gesetzbl.
S. 47).
Antrag Lasker auf Ausdehnung der Kompetenz des Reichs
auf das gesamte bürgerliche Recht. In der Sitzung des Reichstags
vom 2. April 1873 wurde der obenstehende Antrag 1) in zweiter Beratung von
einer überaus großen Mehrheit angenommen. Doch lag nicht in dieser That-
sache die Bedeutung der Reichstagssitzung, sondern vielmehr in der Erklärung,
welche der Präsident des Reichskanzler-Amts, Staatsminister Delbrück namens
des Bundesrats abgab.
Die Schwierigkeiten, welche sich dem Antrage im Bundesrat noch in
der letzten Session desselben entgegengestellt hatten, sind — so erklärte der
Staatsminister Delbrück — überwunden: die Annahme des Antrags ist in Aus-
sicht gestellt, Stimmeneinheit oder doch die für Verfassungsänderungen erforder-
liche Stimmenmehrheit dürfte diesmal dem Antrag Gesetzeskraft zusichern. Auch
die Frage, ob eine Kodifikation des gesamten bürgerlichen Rechts angebahnt,
oder ob nur für den Bedürfnisfall eine einzelne Materie, die mit unter den
Begriff des Zivilrechts fällt, der gesetzlichen Regelung überlassen werden solle,
berührte Delbrück in seiner Antwort, indem er erklärte, daß die verbündeten
Regierungen den ersten Weg einzuschlagen und zugleich mit der Verkündung des
Verfassungsänderungsgesetzes eine Kommission zur Ausarbeitung eines bürger-
lichen Gesetzbuches einzuberufen gedenken. Die große Mehrheit des Reichstags
stimmte diesen Worten lebhaft zu.
Nachdem die Frage in dem bayerischen und württembergischen Landtag zu
heißen Kämpfen Anlaß gegeben hatte, nahm der Bundesrat in der Sitzung
vom 12. Dezember 18732) den Antrag Lasker, betreffend die Ausdehnung der
1) Der Antrag hatte bekanntlich bereits dem Reichstage des Norddeutschen Bundes
vorgelegen und war auch in der zweiten und dritten Session der ersten Legislaturperiode
des Reichstags von einer großen Majorität desselben genehmigt worden. Vergleiche Bd. I.
S. 232, und oben S. 215, 291.
2) Vergleiche über die sächsische Thronrede und über die Frage, ob die sächsische Re-
gierung verfassungsmäßig notwendig die Zustimmung ihrer beiden Kammern haben mußte,