Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Zweiter Band. Der Bundesrat des Zollvereins (1868-1870) und der Bundesrat des Deutschen Reichs (1871-1873). (2)

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Reichskompetenz auf das gesamte Rechtsgebiet, fast einstimmig — nur beide Mecklen- 
burg und Reuß älterer Linie stimmten dagegen, Reuß jüngerer Linie enthielt sich der 
Abstimmung — an. Der bayerische Bevollmächtigte erklärte, daß die bayerische 
Regierung durch das von ihr abgegebene zustimmende Votum ihre Stellung 
zur Frage der Erhaltung des obersten Landesgerichtshofs nicht präjudizirt haben 
wolle. 1) Der substituirte Bevollmächtigte für Großherzogtum Sachsen stimmte 
dem Gesetzentwurf unter der Voraussetzung bei, daß zugleich die Ausarbeitung 
eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs bezweckt und demnächst in Angriff ge- 
nommen werde. Der substituirte Bevollmächtigte für Oldenburg schloß sich dieser 
Voraussetzung mit dem Wunsch an, daß zu Spezialgesetzen nur im Falle 
dringender Notwendigkeit gegriffen werde. 
Der Vorsitzende, Staatsminister Delbrück, bemerkte hierauf: Zufolge der 
in der Sitzung vom 2. April 1873 getroffenen Verständigung sei bei Beratung 
des soeben angenommenen Gesetzentwurfs im Reichstag von dem Präsidenten 
des Reichskanzler-Amts erklärt worden, daß die verbündeten Regierungen, wenn 
der Entwurf die verfassungsmäßige Stimmenmehrheit im Bundesrat finde, mit 
Publikation der Verfassungsänderung eine Kommission zur Aufstellung des Ent- 
wurfs eines allgemeinen deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs einzusetzen beab- 
sichtigten. Im Hinblick auf diese Erklärung und den soeben gefaßten Beschluß 
um im Bundesrat für die Kompetenzerweiterung zu stimmen, die „National-Zeitung“ Nr. 485 
vom 17. Oktober 1873, Nr. 487 vom 18. Oktober 1873, Nr. 492 vom 22. Oktober 1873, 
Nr. 495 vom 23. Oktober 1873, Nr. 496 vom 24. Oktober 1873, Nr. 497 vom 24. Oktober 
1873; über die sächsischen Kammerverhandlungen, Nr. 521 vom 8. November 1873 und 
Nr. 543 vom 21. November 1873; über die bayerischen Kammerverhandlungen, Nr. 524 
vom 10. November 1873, Nr. 568 vom 5. Dezember 1873 und Nr. 569 vom 6. Dezember 
1873; württembergische Kammerverhandlungen, Nr. 572 vom 8. Dezember 1873. 
1) In der bayerischen Abgeordnetenkammer hatte der Minister Fäustle (vergleiche oben 
S. 273 f.) im wesentlichen folgendes erklärt: In Berlin sei er mit Entschiedenheit dem 
Laskerschen Antrag auf Ausdehnung der Reichskompetenz entgegengetreten, weil er den 
regellosen Erlaß von Spezialgesetzen, wie er möglich gewesen sei, vom Uebel halte. Sein 
Standpunkt sei der, daß allgemeine Gesetzbücher über das bürgerliche Recht zu schaffen 
seien. Nachdem eine Kommission für Entwerfung eines allgemeinen Zivilrechtes in Aus- 
sicht genommen, sei die Gefahr des Erlasses von solchen Spezialgesetzen, wenn nicht ganz 
beseitigt, doch in die Ferne gerückt. Im April dieses Jahres sei Bayern zu liebe die Ab- 
stimmung im Bundesrat verschoben worden, länger aber werde sie sich nicht mehr hinaus- 
schieben lassen. Die Meinung der Staatsregierung gehe dahin, daß sie die Zustimmung 
zu dem Antrag für dringend wünschenswert erachte. Die Regierung würde es begrüßen, 
wenn sie bei der Zustimmung zum Antrag auf Ausdehnung der Reichskompetenz im Ein- 
klang mit der Mehrheit der Kammer handeln würde. Würde Bayern im Bundesrat 
dagegen stimmen, liefe es Gefahr, isolirt dazustehen. Eines ertrage er schwer, daß sein 
Heimatland im Bundesrat einfach majorisirt werde, das sei die größte Demütigung für ihn. 
Ueber die Bemühungen der bayerischen Patrioten, betreffend die Stellung des bayerischen 
„obersten Gerichtshofs“, vergleiche die „National-Zeitung“ Nr. 563 vom 3. Dezember 1873 
und Nr. 571 vom 7. Dezember 1873.
	        
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