— 30 —
Berlin, den 20. März 1868.
Nur kurz kann ich mich heute noch mit Dir unterhalten. Das Geschäft
wächst fortwährend. — Soeben erhalte ich das Programm über die Feierlich-
keiten bei der Taufe des kleinen Sohnes des Kronprinzen:
„An der Thür des Taufsaals übergibt die Oberhofmeisterin den durch-
lauchtigsten Täufling Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Elisabeth,
um Hoöchstdenselben Seiner Majestät dem Könige vor dem Altar zu über-
reichen.“
und am Schlusse:
„Während die Allerhöchsten und Höchsten Herrschaften Sich in die Ge-
mächer Seiner Königlichen Hoheit des Kronprinzen zurückziehen, wollen
Ihre Königliche Hoheit die Frau Kronprinzessin von den übrigen Tauf-
zeugen eine Defilircour anzunehmen geruhen.
Die Damen erscheinen in runden Kleidern.“
Ob man wohl die Absicht hat, uns als die Vertreter von ganz Deutsch-
land zur Taufe einzuladen?
*
Berlin, den 24. März 1868.
Das Rätsel des uns zugeschickten Programms über die Taufe beim Kron-
prinzen löste sich bald, nachdem mein Brief an Dich abgegangen war, dahin,
daß schon die Zuschickung des Programms als Einladung zu gelten habe. Der
Kronprinz habe seinem Hofmarschall gesagt: „Laden Sie mir zur Taufe das
Zollparlament ein.“ Erst Delbrück belehrte dann, daß bis jetzt nur ein Bundes-
rat des Zollvereins existire. Nun große Aufregung über die Formlosigkeit bei
den diplomatischen Kollegen, nicht minder bei Bismarck, dem durch das Tauf-
fest die Hälfte seiner Gäste zur königlichen Geburtstagsfeier genommen. Die
Aufregung legte sich, als der König entschieden, daß die Einladung zum Kron-
prinzen jeder andern vorgehe. Die Herren Minister und der Bundeskanzler
können nach der Taufe nach Hause gehen und ihre Diners halten, die sonst
Geladenen haben beim Kronprinzen zu essen. Der königliche Geburtstag wurde
diesmal mit einem Jubel gefeiert, wie ich es früher (1864 und 1867) nicht
gesehen. Vom frühen Morgen an wimmelte es in den Straßen. Gegen 4 Uhr
sollte man beim Kronprinzen erscheinen. Baron Spitzemberg, in großer, reich
gestickter Diplomatenuniform, holte mich um dreiviertel ab. Obgleich wir nur
wenige Schritte zu fahren hatten, saßen wir doch bis nach 4 Uhr im Wagen
und gingen auch dann noch einen Teil des Wegs zu Fuß, nur um rechtzeitig
einzutreten. An der Treppe stand der Kronprinz, mit vielen Orden und den
Bändern des Hosenbandordens geschmückt. Die Treppe besetzt mit Offizieren
aller Waffengattungen, oben der bunteste Wirrwarr der Hof= und Staats-
uniformen. Die wenigst schönen waren die Damen; am hübschesten dagegen
sollen die Kammerfrauen der Kronprinzessin gewesen sein, denen bei der Taufe