Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Zweiter Band. Der Bundesrat des Zollvereins (1868-1870) und der Bundesrat des Deutschen Reichs (1871-1873). (2)

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der Vortritt vor allen Excellenzen gelassen war. Was die Sache noch weiter 
interessant machte, war die Anwesenheit der ganzen königlichen Familie, des 
Großfürsten-Thronfolgers, des Grafen von Flandern, des Kronprinzen von 
Sachsen nebst Gemahlin, der Großherzoge von Sachsen-Weimar, Mecklenburg. 
und Oldenburg, einzelner Reuße, kurz, fast von jedem Staate des Norddeutschen 
Bundes ein Familienmitglied. Der 71jährige König erschien in der Uniform 
des Husarenregiments der Kronprinzessin mit strammen Waden, ohne jedes 
Zeichen der Ermüdung; hielt während der langen Tauffeierlichkeit wie ein 
anderer Großvater das Kind in den Armen und machte vor und nach dem 
Diner mit der größten Liebenswürdigkeit Cercle. Ich sah die königliche Familie 
mit den Taufpaten und dem „durchlauchtigsten“ Täufling hart an mir vorüber- 
ziehen, von der Zeremonie dagegen nicht viel, weil ich mich nicht in den Tauf- 
saal eindrängen wollte. Der Täufling schrie wie andere kleine Kinder. Seinem 
älteren Bruder scheint die Sache aber auch bedenklich geworden zu sein, er 
schrie mit und mußte abgeführt werden. Nun die große Defilircour. In einem 
großen Eckzimmer saß in der äußeren Ecke die Kronprinzessin, umgeben von 
ihren Kindern und Damen, hinter ihr die Amme, welche den Buben, der jetzt 
Waldemar heißt, auf dem Arme wiegte, zur Seite der Kronprinz — fast wie 
ein schön gestelltes lebendes Bild. Quer durch dieses Zimmer hindurch ging 
nun jeder, Mann für Mann, machte seine zwei Verbeugungen, die huldvoll 
erwidert wurden. Zuerst die Damen, dann les princes, alle Militärs, dann 
das „Zollparlament“, endlich die preußischen Beamten. An unserer Spitze 
marschirte der . sche Gesandte, ein himmelhoher Mensch, mit konstanter 
Neigung zu Bücklingen. Unendlich wurde er beglückt, als der Großfürst- 
Thronfolger sich nach ihm umwendete, um ihn zu begrüßen. Es war zu 
komisch, das Gesicht zu beobachten, mit dem er nun um sich blickte — ob 
man es auch gewiß gesehen habe. Von der Cour ging es zur Tafel, die in 
drei Sälen und einem kleinen Rondel, dieses für die königliche Familie, ihre 
fürstlichen Gäste und die Botschafter von England und Frankreich, gedeckt war. 
Mein Platz war mir neben General Obernitz und dem Zeremonienmeister v. Röder 
angewiesen; in der Nähe Ober-Konsistorialrat Hoffmann, Kabinetsrat Mühler und 
der kronprinzliche Hofmarschall Gans Edler v. Putlitz, der bekannte Lustspiel- 
dichter. Ich unterhielt mich gut, stieß mit Obernitz auf das Wohl unseres. 
Königs, mit Hoffmann auf: Hie gut Württemberg allewege! an und wurde 
auch nicht verlegen, als mir Herr v. Röder erklärte, sie wollen gar nichts von 
uns, sie können uns gar nicht brauchen: „Sie wollen eben vorher die anderen 
auffressen“" — war meine Antwort. Noch habe ich zu erwähnen, daß ich an 
der Tafel des Generalfeldmarschalls v. Wrangel saß. 
Nach dem Essen sprach der Kronprinz einige Worte mit mir, ziemlich 
hastig im Ton, ohne auf Antwort zu warten. Er bedauere, daß seine Zimmer 
zu eng. Sein Großvater habe darin residirt, man könne nicht ohne weiteres.
	        
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