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der Vortritt vor allen Excellenzen gelassen war. Was die Sache noch weiter
interessant machte, war die Anwesenheit der ganzen königlichen Familie, des
Großfürsten-Thronfolgers, des Grafen von Flandern, des Kronprinzen von
Sachsen nebst Gemahlin, der Großherzoge von Sachsen-Weimar, Mecklenburg.
und Oldenburg, einzelner Reuße, kurz, fast von jedem Staate des Norddeutschen
Bundes ein Familienmitglied. Der 71jährige König erschien in der Uniform
des Husarenregiments der Kronprinzessin mit strammen Waden, ohne jedes
Zeichen der Ermüdung; hielt während der langen Tauffeierlichkeit wie ein
anderer Großvater das Kind in den Armen und machte vor und nach dem
Diner mit der größten Liebenswürdigkeit Cercle. Ich sah die königliche Familie
mit den Taufpaten und dem „durchlauchtigsten“ Täufling hart an mir vorüber-
ziehen, von der Zeremonie dagegen nicht viel, weil ich mich nicht in den Tauf-
saal eindrängen wollte. Der Täufling schrie wie andere kleine Kinder. Seinem
älteren Bruder scheint die Sache aber auch bedenklich geworden zu sein, er
schrie mit und mußte abgeführt werden. Nun die große Defilircour. In einem
großen Eckzimmer saß in der äußeren Ecke die Kronprinzessin, umgeben von
ihren Kindern und Damen, hinter ihr die Amme, welche den Buben, der jetzt
Waldemar heißt, auf dem Arme wiegte, zur Seite der Kronprinz — fast wie
ein schön gestelltes lebendes Bild. Quer durch dieses Zimmer hindurch ging
nun jeder, Mann für Mann, machte seine zwei Verbeugungen, die huldvoll
erwidert wurden. Zuerst die Damen, dann les princes, alle Militärs, dann
das „Zollparlament“, endlich die preußischen Beamten. An unserer Spitze
marschirte der . sche Gesandte, ein himmelhoher Mensch, mit konstanter
Neigung zu Bücklingen. Unendlich wurde er beglückt, als der Großfürst-
Thronfolger sich nach ihm umwendete, um ihn zu begrüßen. Es war zu
komisch, das Gesicht zu beobachten, mit dem er nun um sich blickte — ob
man es auch gewiß gesehen habe. Von der Cour ging es zur Tafel, die in
drei Sälen und einem kleinen Rondel, dieses für die königliche Familie, ihre
fürstlichen Gäste und die Botschafter von England und Frankreich, gedeckt war.
Mein Platz war mir neben General Obernitz und dem Zeremonienmeister v. Röder
angewiesen; in der Nähe Ober-Konsistorialrat Hoffmann, Kabinetsrat Mühler und
der kronprinzliche Hofmarschall Gans Edler v. Putlitz, der bekannte Lustspiel-
dichter. Ich unterhielt mich gut, stieß mit Obernitz auf das Wohl unseres.
Königs, mit Hoffmann auf: Hie gut Württemberg allewege! an und wurde
auch nicht verlegen, als mir Herr v. Röder erklärte, sie wollen gar nichts von
uns, sie können uns gar nicht brauchen: „Sie wollen eben vorher die anderen
auffressen“" — war meine Antwort. Noch habe ich zu erwähnen, daß ich an
der Tafel des Generalfeldmarschalls v. Wrangel saß.
Nach dem Essen sprach der Kronprinz einige Worte mit mir, ziemlich
hastig im Ton, ohne auf Antwort zu warten. Er bedauere, daß seine Zimmer
zu eng. Sein Großvater habe darin residirt, man könne nicht ohne weiteres.