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Später (Oktober) verlautete, der Plan, die Sitzungen des Reichstags auf
die Herbstmonate und diejenigen der Einzellandtage auf die Frühjahrsmonate
zu verlegen, habe die Zustimmung der Mehrheit der Bundesregierungen gefunden.)
Auslegung der Wahllisten für die Reichstagswahlen. Ueber
die im Bundesrat hierüber verhandelte Kontroverse erfuhr man nachstehendes:
Einzelne Regierungen hatten bereits den Termin für die Auslegung der Wahl-
listen festgestellt, ehe der Wahltermin selbst festgesetzt war. Es entstand nunmehr
die Frage, ob es zulässig sei, daß die Wahllisten, welche nach § 8 des Wahl-
gesetzes spätestens vier Wochen vor dem Wahltermine ausgelegt werden müssen,
vor Beginn dieser vier Wochen ausgelegt werden dürfen. Der Bundesrat ver-
neinte diese Frage, weil die erwähnte Vorschrift auch die Absicht habe, zu ver-
hindern, daß durch vorzeitigen Schluß der Wahllisten den einzelnen Wählern
die Ausübung des Wahlrechts abgeschnitten werde, also in dem Umstande, daß
die Wahllisten vor Festsetzung des Wahltages ausgelegt worden, ein Grund zur
Anfechtung der betreffenden Wahlen gefunden werden könnte. Es sollten des-
halb diejenigen Regierungen, welche bei Anordnung der Wahlvorbereitungen
bereits den Zeitpunkt der Auslegung der Wahllisten bestimmt hatten, ersucht
werden, für den Fall, daß der Wahltag nicht vor dem für die Auslegung der
Wahllisten bestimmten Tage durch Verkündigung der bezüglichen Kaiserlichen Ver-
ordnung sfestgesetzt sein sollte, in dem vorbezeichneten Sinne Remedur zu treffen.
Aufhebung der ltio in partes. Endlich hatte sich der Bundesrat
noch mit dem Antrag des Reichstags wegen Abänderung des Artikels 28 der
Reichsverfassung zu beschäftigen. Es handelte sich um Beseitigung der lästigen
Bestimmung des zweiten Absatzes jenes Artikels, welcher dahin ging: „Bei der
Beschlußfassung über eine Angelegenheit, welche nach den Bestimmungen der
Verfassung nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftlich ist, werden die Stimmen
nur derjenigen Mitglieder gezählt, die in Bundesstaaten gewählt sind, welchen
diese Angelegenheit gemeinschaftlich ist.“ Man wird sich erinnern, daß die so-
genannte ltio in partes bei Gelegenheit des Brausteuergesetzes allgemein einen
sehr peinlichen Eindruck machte und Veranlassung zu jenem Antrag wurde, dessen
Annahme der Verfassungsausschuß bei dem Plenum des Bundesrats befürwortete.
Gesetz vom 24. Februar 1873, betreffend die Abänderung des Artikels 28
der Reichsverfassung (Reichs-Gesetzbl. S. 45).2)
1) In der Uebersicht der vom Bundesrat gefaßten Entschließungen auf die Beschlüsse
des Reichstags aus der Session 1873 findet sich nur der Vermerk, die Regierungen seien
um eine Aeußerung in der Sache ersucht worden.
2) Ueber die Vorlage des Reichskanzlers an den Bundesrat, betreffend den Gesetz-
entwurf wegen Abänderung der Reichstagswahlkreise 5 und 6 des Regierungsbezirks
Oppeln im Königreich Preußen, vergl. „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ Nr. 133
vom 11. Juni 1873.
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat. II. 25