Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Zweiter Band. Der Bundesrat des Zollvereins (1868-1870) und der Bundesrat des Deutschen Reichs (1871-1873). (2)

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Später (Oktober) verlautete, der Plan, die Sitzungen des Reichstags auf 
die Herbstmonate und diejenigen der Einzellandtage auf die Frühjahrsmonate 
zu verlegen, habe die Zustimmung der Mehrheit der Bundesregierungen gefunden.) 
Auslegung der Wahllisten für die Reichstagswahlen. Ueber 
die im Bundesrat hierüber verhandelte Kontroverse erfuhr man nachstehendes: 
Einzelne Regierungen hatten bereits den Termin für die Auslegung der Wahl- 
listen festgestellt, ehe der Wahltermin selbst festgesetzt war. Es entstand nunmehr 
die Frage, ob es zulässig sei, daß die Wahllisten, welche nach § 8 des Wahl- 
gesetzes spätestens vier Wochen vor dem Wahltermine ausgelegt werden müssen, 
vor Beginn dieser vier Wochen ausgelegt werden dürfen. Der Bundesrat ver- 
neinte diese Frage, weil die erwähnte Vorschrift auch die Absicht habe, zu ver- 
hindern, daß durch vorzeitigen Schluß der Wahllisten den einzelnen Wählern 
die Ausübung des Wahlrechts abgeschnitten werde, also in dem Umstande, daß 
die Wahllisten vor Festsetzung des Wahltages ausgelegt worden, ein Grund zur 
Anfechtung der betreffenden Wahlen gefunden werden könnte. Es sollten des- 
halb diejenigen Regierungen, welche bei Anordnung der Wahlvorbereitungen 
bereits den Zeitpunkt der Auslegung der Wahllisten bestimmt hatten, ersucht 
werden, für den Fall, daß der Wahltag nicht vor dem für die Auslegung der 
Wahllisten bestimmten Tage durch Verkündigung der bezüglichen Kaiserlichen Ver- 
ordnung sfestgesetzt sein sollte, in dem vorbezeichneten Sinne Remedur zu treffen. 
Aufhebung der ltio in partes. Endlich hatte sich der Bundesrat 
noch mit dem Antrag des Reichstags wegen Abänderung des Artikels 28 der 
Reichsverfassung zu beschäftigen. Es handelte sich um Beseitigung der lästigen 
Bestimmung des zweiten Absatzes jenes Artikels, welcher dahin ging: „Bei der 
Beschlußfassung über eine Angelegenheit, welche nach den Bestimmungen der 
Verfassung nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftlich ist, werden die Stimmen 
nur derjenigen Mitglieder gezählt, die in Bundesstaaten gewählt sind, welchen 
diese Angelegenheit gemeinschaftlich ist.“ Man wird sich erinnern, daß die so- 
genannte ltio in partes bei Gelegenheit des Brausteuergesetzes allgemein einen 
sehr peinlichen Eindruck machte und Veranlassung zu jenem Antrag wurde, dessen 
Annahme der Verfassungsausschuß bei dem Plenum des Bundesrats befürwortete. 
Gesetz vom 24. Februar 1873, betreffend die Abänderung des Artikels 28 
der Reichsverfassung (Reichs-Gesetzbl. S. 45).2) 
1) In der Uebersicht der vom Bundesrat gefaßten Entschließungen auf die Beschlüsse 
des Reichstags aus der Session 1873 findet sich nur der Vermerk, die Regierungen seien 
um eine Aeußerung in der Sache ersucht worden. 
2) Ueber die Vorlage des Reichskanzlers an den Bundesrat, betreffend den Gesetz- 
entwurf wegen Abänderung der Reichstagswahlkreise 5 und 6 des Regierungsbezirks 
Oppeln im Königreich Preußen, vergl. „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ Nr. 133 
vom 11. Juni 1873. 
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat. II. 25
	        
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