Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Zweiter Band. Der Bundesrat des Zollvereins (1868-1870) und der Bundesrat des Deutschen Reichs (1871-1873). (2)

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klang es immerhin zu hören: „Ev. Joh. 10, 14. Ich bin ein guter Hirte, 
und erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen“ — dann aber Vers 16: 
„Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle. Und 
dieselbigen muß ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und wird 
Eine Herde und Ein Hirte sein!“ Wunderbar schön war der Gesang des Dom- 
chors aus der Höhe der Kapelle herab. Namentlich das „Heilig, heilig, heilig 
ist Gott der Herr!“ war unbeschreiblich ergreifend. Es war das schönste an 
der ganzen Sache. Nach dem Gottesdienst, der eine volle Stunde dauerte, 
wurden uns in einem der Säle des Schlosses, wo sich der Bundesrat zunächst 
wieder sammelte, ein Glas Wein — wie R. sagen würde — und einige Sar- 
dellenbrötchen gereicht. Bismarck, mit dem ich auf dem Wege dahin zusammen- 
traf, sagte: „Ich muß jetzt zu meinem allergnädigsten Herrn und sehen, ob er 
seine Rede nicht vergessen hat.“ Als wir uns gestärkt, begann der Marsch des 
Bundesrats in den Weißen Saal des Schlosses. Wir waren fast vollzählig, 
etliche 40 Personen. Voran Bismarck mit dem bayerischen Gesandten, dann 
Delbrück mit Weinlig von Sachsen, nach diesen Linden und Spitzemberg, — 
Pommer-Esche mit mir u. s. w. Der Saal war von den Abgeordneten zum 
Zollparlament fast voll, obgleich ein Teil der unsern weggeblieben war. Als 
wir unsern Platz erreicht, meldete Bismarck dem Könige, daß alles bereit sei. 
Der kam, von lautem Hoch empfangen, und las mit seiner schönen sympathischen 
Stimme die sehr sachgemäß gehaltene Rede ab, — in der seitdem Mohl vergeb- 
lich nach verborgenen Spitzen sucht. Das Hoch am Schlusse brachte der bayerische 
Gesandte aus, welcher darüber schon einige Tage her sich beunruhigt hatte. Beim 
Weggehen begrüßte ich Reibel. Mit Linden, Mittnacht und Ramm aß ich bei 
Spitzembergs, mußte aber vom Essen weg wieder in die Sitzung. Um halb 
10 Uhr endlich fertig, beschloß ich den Tag beim „schweren Wagner“. 
Gestern mußte mit den Schweizern konferirt werden. Nach vierwöchent- 
lichen Mühen stehen wir wieder einmal vor einem Abbruch der Verhandlungen. 
Es gehört viel Geduld dazu, das alles zu ertragen. 
Unsere Demokraten halten es unter ihrer Würde, mit dem König von Preußen 
an einem Tische zu sitzen, haben daher zum Hofdiner im Schlosse forsch ab- 
geschrieben. Und so hatte denn Spitzemberg gestern die Freude, den Majestäten 
gerade sieben Schwaben vorstellen zu dürfen: zuerst Herrn v. Neurath, dann 
Mittnacht, Vayhinger, der anfangs Händel anfangen wollte, weil man die 
sächsischen Abgeordneten zwischen die Württemberger und Bayern stellte, aber 
entzückt ward, als die Königin von dem schönen Stuttgart zu sprechen anfing 
und vom Volksfest und dem verstorbenen König Wilhelm. Ferner waren noch 
da Probst, Ramm, Dörtenbach und Knosp. Zu letzterem sagte der König: 
„Das muß ein gutes Geschäft sein, das Sie haben.“ Unsere Herren sind 
auf alles dieses hin sehr befriedigt, zumal man ihnen auch beim Essen gute 
Plätze an der ersten Tafel angewiesen hat.
	        
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