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Staatsminister Freiherr v. Lindent)
(geboren Juni 1804, gestorben 31. Mai 1895).
Wie die Südstaaten und deren Staatsmänner vor 1866 zu Preußen
standen, mit welchen Gefühlen die Bundestagsgesandten aus Frankfurt a. M.
flüchteten, braucht nicht geschildert zu werden. Und Linden war einer dieser
Staatsmänner und dieser Gesandten; kein Wunder, wenn bis zum Jahre 1870
von Sympathien desselben für Bismarck wohl schwerlich sich Spuren zeigen.
Nach 1870 kam mit den deutschen Siegen ein großer Umschwung in Lindens
Gesinnungen, und von da ab wurde er ein begeisterter Anhänger Bismarcks.
Als die glänzenden Erfolge der deutschen Armeen das westliche Frankreich
in die Hände Deutschlands brachten, wurde Freiherr v. Linden zur Uebernahme
einer Präfektur in Frankreich aufgefordert, wozu er sich unverzüglich bereit
erklärte. 2)
Nach kurzen Verhandlungen befand sich Freiherr v. Linden in Begleitung des
Regierungsrats Holland auf dem Wege nach Frankreich. Nach sechstägiger Reise traf
derselbe bei dem Rothschildschen Schlosse Ferrières, dem deutschen Hauptquartier,
1) Joseph Freiherr v. Linden, geboren zu Wetzlar als Sohn eines Reichskammer-
gerichts-Assessors. Nach Absolvirung des Gymnasiums Studium der Rechte an der Uni-
versität Tübingen, 1830 Assessor am Gerichtshofe in Ellwangen, 1833 Ober-Amtsrichter zu
Kirchheim, 1836 Ober-Justizrat in Ulm, 1839 Wahl in die Kammer der Abgeordneten,
1842—1850 Vorstand des katholischen Kirchenrates, Juli 1850 Uebernahme des Ministe-
riums des Innern und zeitweise auch des Aeußern, 11. Oktober 1850 Teilnahme an der
Bregenzer Monarchen-Zusammenkunft (Oesterreich, Bayern und Württemberg). Auflösung
der württembergischen Landesversammlung wegen verweigerter Bewilligung der für die
Truppenaufstellungen nötigen Gelder, Wiederberufung des nach der Verfassung von 1819
erwählten Ausschusses. Lindens Bemühuttgen, die Früchte der Revolutionszeit durch die
Gesetzgebung thunlichst wieder zu beseitigen, verschafften ihm die höchste Mißgunst der
Volksparteien und den Ruf eines hartnäckigen Reaktionärs. Bedeutungsvoll ist die Mit-
wirkung Lindens an dem Zustandekommen der Konvention vom 8. April 1857, welche
einen modus vivendi Württembergs mit der römischen Kurie herbeizuführen bezweckte.
22. September 1864 Rücktritt Lindens vom Ministerium, 1865 Ernennung zum Bundes-
tagsgesandten in Frankfurt a. M., nach Auflösung des Deutschen Bundes Ernennung zum
lebenslänglichen Mitglied der Kammer der Standesherren, 25. September 1870 Ernennung
zum Präfekten des Departements der Marne. Nach sechsmonatlicher Verwaltung desselben
Zurückziehung auf das Rittergut Neunthausen am Abhange des Schwarzwaldes.
2) Vgl. den Aufsatz von Julius v. Pflugk-Hartung in der „Deutschen Revue“,
XII. Jahrg. III. Bd. (Juli-September 1887) S. 365.
Litteratur: Das württembergische Ministerium Linden, von Professor Dr. Julius
v. Pflugk-Hartung in Basel (historisches Taschenbuch, 6. Folge VII.). Die Anfänge des
Ministeriums Linden. Nach den Erinnerungen des Ministers von J. v. Pflugk-Hartung
(bistorische Zeitschrift von Sybel, Bd. XX.). Familiennachrichten der fürstlichen, gräflichen,
freiherrlichen und adeligen Häuser im Deutschen Reiche, Stuttgart, I. Jahrg. Heft 15, 16
und 17 (mit Porträt). Deutsche Revue, XII. Jahrg. Bd. III. (Juli-Sept. 1887) S. 365
bis 369. Ein deutscher Präfekt von Chalons sur Marne, von Julius v. Pflugk-Hartung.