Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Zweiter Band. Der Bundesrat des Zollvereins (1868-1870) und der Bundesrat des Deutschen Reichs (1871-1873). (2)

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Gerstenberg begeisterte sich schon in seiner Jugend für den Gedanken eines 
einigen Deutschen Reiches und erblickte in Preußen die Macht, die Deutschland 
zu Ruhm und Größe führen würde. 
Er nahm teil an den Freiheitsbestrebungen des Jahres 1848, erkannte 
aber sehr bald deren krankhafte und ungesunde Richtung und zog sich deshalb 
zunächst wieder ganz in das Privatleben zurück, nur seiner Familie und der 
Bewirtschaftung seiner Güter lebend. 
Doch nicht allzulange genügte ihm die Arbeit auf der heimatlichen Scholle, 
und so nahm er im Jahre 1864 die ihm angebotene Stelle als Hofmarschall 
des Herzogs von Sachsen-Altenburg an. 
Die politischen Ereignisse des Jahres 1864 ließen sein ganzes Interesse 
an der Politik Preußens hervortreten. Während alles um ihn herum Preußen 
anfeindete und auf gegnerischer Seite stand, war und blieb er der einzige nam- 
hafte Verfechter von Preußens Politik und erkannte in Bismarck den großen, 
weitblickenden Staatsmann, unter dessen Leitung allein Preußens und Deutsch- 
lands große Einigkeit zu verwirklichen sein würde. Sein Einfluß allein 
vermochte den Herzog im Jahre 1866, abweichend von der Meinung der übrigen 
Räte und dem Zagen der anderen Kleinstaaten, dem Könige von Preußen zu 
erklären, daß er zu ihm halten würde; das Telegramm des Herzogs von Alten- 
burg war, wenn nicht das erste, so doch sicher eines der ersten in diesem Sinne, 
das dem Könige von Preußen zuging. 
Im Herbst des Jahres 1866 wurde Gerstenberg zum Nachfolger des ab- 
gegangenen Ministers v. Larisch berufen. Er hat auch hier, wie überall, wo 
er wirkte, durch seine Milde, sein ausgleichendes, aber auch zugleich thatkräftiges, 
energisches Wesen vermittelnd gewirkt und dabei überall, wo er konnte, dem 
preußischen Geist zum Siege verholfen und den Einheitsgedanken gefördert. 
Zu Bismarck selbst hat derselbe leider nie in näheren Beziehungen ge- 
standen, obwohl er zu seinen größten Verehrern, ja zu den wenigen zu rechnen 
ist, die Bismarcks Größe ganz zu würdigen verstanden. 
Seine Bescheidenheit ließ ihn sich immer wieder zurückziehen und nie in den 
Vordergrund treten, und wenn er selbst es vielleicht gedacht und seine Familie für 
ihn erhofft hatte, daß er in späteren Jahren noch einmal im preußischen Staats- 
bezw. im Reichsdienst eine mehr oder weniger hervortretende Stellung einnehmen 
werde, so vereitelte sein in der Blüte der Kraft erfolgter Tod diese Hoffnungen. 
Mit seltener Begeisterung begrüßte er das Kriegsjahr 1870, nicht einen 
Augenblick am Waffenruhm und dem Sieg der preußischen Armee zweifelnd. 
Er sah es als einen Vorzug an, die Wiedererstarkung Deutschlands wie seine 
Einigung zu erleben. Seine politische Richtung war wohl eher nationalliberal 
als konservativ zu nennen, doch nahm er auch hier einen so weitsehenden Stand- 
punkt ein und verkehrte so viel mit Männern der verschiedensten Parteien, daß 
man ihm niemals Einseitigkeit der Ansicht vorwerfen konnte.
	        
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