Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

98 Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg. 
welche uns die Sympathie und die Leitung der deutschen Staaten 
gewonnen hätte, die mit uns und durch uns in unabhängiger 
Neutralität zu verbleiben wünschten. Ich hielte dies für erreich- 
bar, wenn wir, sobald Oestreich die Truppenaufstellung verlangte, 
freundlich und bereitwillig darauf eingingen, aber die Aufstellung 
der 66000 und factisch mehr Mann nicht bei Lissa, sondern in 
Oberschlesien machten, so daß unfre Truppen in der Lage seien, 
die russische oder die östreichische Grenze mit gleicher Leichtigkeit 
zu überschreiten, namentlich wenn wir uns nicht genirten, die 
Ziffer 100000 uneingestanden zu überschreiten. Mit 200000 Mann 
würde Se. Majestät in diesem Augenblick Herr der gesammten 
europäischen Situation werden, den Frieden dictiren und in Deutsch- 
land eine Preußens würdige Stellung gewinnen können 1). Frank- 
reich war nicht im Stande, neben der Leistung, mit der es in der 
Krim beschäftigt war, bedrohlich an unsrer Westgrenze aufzutreten. 
Oestreich hatte seine disponiblen Kräfte in Ost-Galizien stehn, woa 
sie von Krankheiten mehr Verluste erlitten als auf den Schlacht- 
feldern. Sie waren festgenagelt durch die, auf dem Papier 
wenigstens, 200000 Mann starke russische Armee in Polen, deren 
Marsch nach der Krim die dortige Situation entschieden haben 
würde, wenn die östreichische Grenzaufstellung ihn hätte zulässig 
erscheinen lassen. Es gab schon damals Diplomaten, welche die 
Herstellung Polens unter östreichischem Patronat in ihr Programm 
aufgenommen hatten. Jene beiden Armeen standen einander gegen- 
über fest, und es war für Preußen möglich, durch seinen Beistand 
einer von ihnen die Oberhand zu gewähren. Die Wirkung einer 
englischen Blokade, welche unsre Küste hätte treffen können, würde 
nicht gefährlicher gewesen sein als die wenige Jahre früher mehr- 
mals ausgestandene, uns ebenso vollständig abschließende dänische, 
und aufgewogen worden sein durch die Erlangung unfrer und der 
deutschen Unabhängigkeit von dem Drucke und der Drohung einer 
1) Vgl. die Aeußerung Bismarck's in der Reichstagsrede vom 6. Febr. 
1888, Politische Reden XII 459.
	        
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