Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

Preußens günstige Lage im Krimkriege. „Liebeken, das is sehr schöne!“ 99 
östreichisch-französischen Allianz und Vergewaltigung der zwischen- 
liegenden Mittelstaaten. Während des Krimkrieges sagte mir der 
alte König Wilhelm von Würtemberg in vertraulicher Audienz am 
Kamin in Stuttgart: „Wir deutschen Südstaaten können nicht gleich- 
zeitig die Feindschaft Oestreichs und Frankreichs auf uns nehmen, 
wir sind zu nahe unter der Ausfallpforte Straßburg und vom 
Westen her occupirt, bevor uns von Berlin Hülfe kommen kann. 
Würtemberg wird überfallen, und wenn ich ehrlich mich in das 
preußische Lager zurückziehe, so werden die Klagen meiner vom 
Feinde bedrückten Unterthanen mich zurückrufen; das würtember= 
gische Hemd ist mir näher als der Rock des Bundes“ ½). 
Die nicht unbegründete Hoffnungslosigkeit, welche in dieser 
Aeußerung des gescheidten alten Herrn lag, und die mehr oder 
weniger zornige Empfindung in andern Bundesstaaten — nur 
nicht in Darmstadt, wo Herr von Dalwigk-Coehorn sicher auf 
Frankreich baute — diese Stimmungen würden sich wohl geändert 
haben, wenn ein nachdrückliches Auftreten Preußens in Oberschlesien 
den Beweis lieferte, daß weder Oestreich noch Frankreich uns 
damals überlegnen Widerstand zu leisten vermochten, wenn wir 
ihre entblößte und gefährdete Situation entschlossen benutzten. Der 
König war nicht unempfänglich für die überzeugte Stimmung, in 
welcher ich ihm die Sachlage und die Enventualitäten darstellte; er 
lächelte wohlgefällig und sagte im Berliner Dialekt: „Liebeken, 
das is sehr schöne, aber es is mich zu theuer. Solche Gewalt- 
streiche kann ein Mann von der Sorte Napoleon wohl machen, 
ich aber nicht.“ 
II. 
Der zögernde Beitritt der deutschen Mittelstaaten, die sich in 
Bamberg berathen hatten, zu dem Vertrage vom 20. April, die 
!) Vgl. die Aeußerungen Bismarck's in den Reden vom 22. Januar 1864 
und 2. Mai 1871, Politische Reden II 276, V 52.
	        
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