Auszüge aus Briefen des Generals v. Gerlach. Brief Niebuhrs. 103
fällt, Oesterreich in seinem Kriegsgelüste gegen Rußland nachzu-
gehen, und dann, daß Sie den deutschen Mächten den Weg weisen,
den sie zu gehen haben. Es ist ein eigen Unglück, daß der
Aufenthalt (des Königs Friedrich Wilhelm) in München wieder an
gewisser Stelle germanomanischen Enthusiasmus erregt hat. Eine
deutsche Reservearmee, er an der Spitze, ist der confuse Gedanke,
der eine nicht gute Einwirkung auf die Politik macht. Ludwig XIV.
sagte Pétat c'est moi. Mit viel mehr Recht kann Se. Majestät
sagen I'Allemagne c'est moi. L. v. G.“ #
Daneben gewährte der nachstehende Brief des Cabinetsraths
Niebuhr an mich einen weitern Einblick in die Stimmungen am
Hofe.
„Puttbus, den 22. August 1854.
Ich verkenne gewiß nicht gute Intentionen, wenn sie auch
meiner Ueberzeugung nach nicht an der (richtigen) Stelle und noch
weniger richtig ausgeführt sind, und ebensowenig das Recht von
Interessen, wenn sie auch demjenigen, was ich für richtig halten muß,
schnurstracks widersprechen. Aber ich verlange Wahrheit und Klar-
heit, und deren Mangel kann mich zur Desperation bringen. Mangel
an Wahrheit nach außen kann ich unfrer Politik nun nicht
zum Vorwurf machen: wohl aber Unwahrheit gegen uns selbst.
Wir würden ganz anders dastehen, und Vieles unterlassen haben,
wenn wir uns die eigentlichen Motive dazu eingestanden hätten,
statt uns beständig vorzuspiegeln, daß die einzelnen Acte unfrer
Politik Consequenzen der richtigen Grundgedanken derselben seien.
Die fortgesetzte Theilnahme an den Wiener Conferenzen nach dem
Einlaufen der englisch-französischen Flotte in die Dardanellen und
jetzt zuletzt die Unterstützung der westmächtlich-österreichischen For-
derungen in Petersburg, haben ihren wahren Grund in der kin-
dischen Furcht, „aus dem Concert européen hinausgedrängt zu
1) Briefwechsel S. 181 f.