Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

Ein Brief Niebuhrs. Auszüge aus Gerlachs Briefen. 105 
z. B. mit einer Restauration von Polen, einem rücksichtslosen Ver- 
fahren gegen Rußland u. s. w., sowie es keinem Zweifel unter- 
liegt, daß Frankreich und England ihm auf der andern Seite noch 
leichter als uns Verlegenheiten bereiten können, sowohl in Ungarn 
als in Italien. Der Kaiser ist in den Händen seiner Polizei und 
was das heißt, habe ich in den letzten Jahren gelernt &), hat sich 
vorlügen lassen, Rußland habe Kossuth aufgehetzt u. s. w. Er hat 
damit sein Gewissen beschwichtigt, und was die Polizei nicht ver- 
mag, das leistet der Ultramontanismus, die Wuth gegen die ortho- 
doxe Kirche und gegen das protestantische Preußen. Daher ist auch 
schon jetzt von einem Königreich Polen unter einem österreichischen 
Erzherzoge die Rede. Aus allem diesem folgt, daß man sehr 
auf seiner Hut sein und auf alles, selbst auf einen Krieg gegen 
die mit Oesterreich verbündeten Westmächte gefaßt sein muß, daß 
den deutschen Fürsten nicht zu trauen ist u. s. w. Der Herr möge 
uns geben, daß wir nicht schwach befunden werden, aber ich müßte 
eine Unwahrheit sagen, wenn ich den Leitern unfrer Geschicke fest 
vertraute. Halten wir daher eng zusammen. Anno 1850 hatte 
Nadowitz uns etwa auf denselben Punkt gebracht wie Buol jetzt 
passiv von drüben her )) 
Sanssouci, den 15. November 1854. 
.. Was Oesterreich anbetrifft so ist mir durch die letzten Ver- 
handlungen endlich die dortige Politik klar geworden. In meinem 
Alter ist man von schweren Begriffen. Die österreichische Politik 
&) Gerlach hat dabei wohl an Ohm und Hantge gedacht, auch an die Be- 
richte, welche der phantasiereiche und gut bezahlte Oestreicher Tausenau aus 
London über gefährliche Anschläge der deutschen Flüchtlinge erstattete. Der 
König muß über die Zuverlässigkeit dieser Meldungen zweifelhaft geworden 
sein; er beauftragte direct aus seinem Cabinct den Gesandten Bunsen, von der 
englischen Polizei Erkundigung einzuziehn, die dahin ausfiel, daß die deutschen 
Flüchtlinge in London zu viel mit dem Erwerb ihres Lebensunterhaltes zu thun 
hätten, um an Attentate zu denken. 
1) Briefwechsel S. 191 ff.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.