Prinzessin Augusta, Sympathien und Antipathien. 123
einer erwachsenen und zur Uebernahme der Führung in ihrem Kreise
geneigten Tochter; vielleicht auch die Vermuthung einer Idiosynkrasie
gegen die präpotente Persönlichkeit des Kaisers Nicolaus. Gewiß
ist, daß der antirussische Einfluß dieser hohen Frau auch in den
Zeiten, wo sie Königin und Kaiserin war, mir die Durchführung
der von mir für nothwendig erkannten Politik bei Sr. Majestät
häufig erschwert hat.
Wesentliche Hülfe leistete der Bethmann-Hollwegschen Fraction
Herr von Schleinitz, der Specialpolitiker der Prinzessin, der auch
seinerseits zum Kampfe gegen Manteuffel dadurch veranlaßt war,
daß er aus dem gutsituirten, aber nicht sehr fleißig besorgten Posten
von Hanover aus dienstlichen Gründen unter Umständen der Art
entlassen war, daß ihm das Wartegeld als Gesandter erst, nachdem
er Minister geworden, nachträglich ausgezahlt wurde. Als Sohn
eines braunschweigischen Ministers und als gewerbsmäßiger Diplo-
mat an das Hofleben und die äußern Vorzüge des auswärtigen
Dienstes gewöhnt, ohne Vermögen, dienstlich verstimmt, bei der
Prinzessin aber in Gnaden stehend, wurde er natürlich von den
Gegnern Manteuffel's gesucht und schloß sich ihnen bereitwillig an.
Er wurde der erste auswärtige Minister der neuen Aera und starb
als Hausminister der Kaiserin Augusta.
Beim Frühstück — und diese Gewohnheit des Prinzen wurde
auch vom Kaiser Wilhelm beibehalten — hielt die Prinzessin ihrem
Gemal Vortrag unter Vorlegung von Briefen und Zeitungsartikeln,
die zuweilen ad hoc redigirt worden waren. Andeutungen, die ich
mir gelegentlich gestattete, daß gewisse Briefe auf Veranstaltung
der Königin durch Herrn von Schleinitz hergestellt und beschafft
sein könnten, trugen mir eine sehr scharfe Zurückweisung zu. Der
König trat mit seinem ritterlichen Sinne unbedingt für seine Ge-
malin ein, auch wenn der Anschein einleuchtend gegen sie war.
Er wollte gewissermaßen verbieten, dergleichen zu glauben, auch
wenn es wahr wäre.
Ich habe es nie für die Aufgabe eines Gesandten bei befreun-