Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

Streit über Bildung der Ersten Kammer. Als Vertrauensmann des Königs. 143 
Auffassung des Königs, als für das Zusammenhalten mit ihm hatte. 
Die Fractionsleitung blieb bei der Abstimmung isolirt; fast die 
gesammte Fraction war bereit, dem Könige auf seinem Wege zu 
folgen. 
Wenn ich heut auf diese Vorgänge zurückblicke, so scheint es 
mir, daß die drei oder sechs Führer, gegen welche ich die conserva- 
tive Fraction aufwiegelte, im Grunde dem Könige gegenüber Recht 
hatten. Die Erste Kammer war zur Lösung der Aufgaben, welche 
einer solchen im constitutionellen Leben zufallen, befähigter als das 
heutige Herrenhaus. Sie genoß in der Bevölkerung eines An- 
sehns, welches das Herrenhaus sich bisher nicht erworben hat. Das 
letztre hat zu einer hervorragenden politischen Leistung nur in der 
Conflictszeit Gelegenheit gehabt und sich damals durch die furcht- 
lose Treue, mit der es zur Monarchie stand, auf dem defensiven 
Gebiete der Aufgabe eines Oberhauses völlig gewachsen gezeigt. 
Es ist wahrscheinlich, daß es in kritischen Lagen der Monarchie 
dieselbe tapfere Festigkeit beweisen wird. Ob es aber für Ver- 
hütung solcher Krisen in den scheinbar friedlichen Zeiten, in 
denen sie sich vorbereiten können, denselben Einfluß ausüben wird, 
wie jene Erste Kammer gethan hat, ist mir zweifelhaft. Es ver- 
räth einen Fehler in der Constitution, wenn ein Oberhaus in der 
Einschätzung der öffentlichen Meinung ein Organ der Regirungs- 
politik oder selbst der königlichen Politik wird. Nach der preußischen 
Verfassung hat der König mit seiner Regirung an und für sich 
einen gleichwerthigen Antheil an der Gesetzgebung, wie jedes der 
beiden Häuser; er hat nicht nur sein volles Veto, sondern die ganze 
vollziehende Gewalt, vermöge deren die Initiative in der Gesetz- 
gebung factisch und die Ausführung der Gesetze auch rechtlich der 
Krone zufällt. Das Königthum ist, wenn es sich seiner Stärke 
bewußt ist und den Muth hat, sie anzuwenden, mächtig genug 
für eine verfassungsmäßige Monarchie, ohne eines ihm gehorsamen 
Herrenhauses als einer Krücke zu bedürfen. Auch wenn das Herren- 
haus in der Conflictszeit sich für die ihm zugehenden Etatsgesetze
	        
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