Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

Begegnung mit Prinz Albert und Königin Victoria. Prinzessin Victoria. 151 
verdorben, in den royalistischen Traditionen der Familie aufgewachsen 
und bedürfe zu meinem irdischen Behagen einer monarchischen Ein- 
richtung, dankte aber Gott, daß ich nicht dazu berufen sei, wie ein 
König auf dem Präsentirteller zu leben, sondern bis an mein Ende 
ein getreuer Unterthan des Königs zu sein. Daß diese meine 
Ueberzeugung aber allgemein erblich sein würde, ließe sich nicht 
verbürgen, nicht weil die Royalisten ausgehn würden, sondern 
vielleicht die Könige. Pour faire un civet, il faut un lièvre, et 
bour une monarchie, il faut un roi. Ich könnte nicht dafür gut 
sagen, daß in Ermanglung eines solchen die nächste Generation 
nicht republikanisch werden könne. Indem ich mich so äußerte, war 
ich nicht frei von Sorge in dem Gedanken an einen Thronwechsel 
ohne Uebergang der monarchischen Traditionen auf den Nachfolger. 
Die Prinzessin vermied indessen jede ernsthafte Wendung und blieb 
in dem scherzenden Tone, liebenswürdig und unterhaltend wie 
immer; sie machte mir mehr den Eindruck, daß sie einen poli- 
tischen Gegner necken wollte. 
In den ersten Jahren meines Ministeriums habe ich noch öfter 
bei ähnlichen Tischgesprächen beobachtet, daß es der Prinzessin Ver- 
gnügen machte, meine patriotische Empfindlichkeit durch scherzhafte 
Kritik von Personen und Zuständen zu reizen. 
Die Königin Victoria sprach auf jenem Balle in Verseailles 
mit mir deutsch. Ich hatte von ihr den Eindruck, daß sie in mir 
eine merkwürdige, aber unsympathische Persönlichkeit sah, doch war 
ihre Tonart ohne den Anflug von ironischer Ueberlegenheit, den ich 
bei dem Prinzen Albert durchzufühlen glaubte. Sie blieb freund- 
lich und höflich wie Jemand, der einen wunderlichen Kauz nicht 
unfreundlich behandeln will. 
Bei dem Souper war mir im Vergleich mit Berlin die Ein- 
richtung merkwürdig, daß die Gesellschaft in drei Klassen mit Ab- 
stufungen in dem Menu speiste und denjenigen Gästen, die über- 
haupt speisen sollten, die Zusicherung durch Ueberreichung einer 
Karte mit der Nummer beim Eintreten gegeben wurde. Die Karten
	        
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