Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

Pariser Hofsitten, ein Souper in Versailles. 153 
was in Berlin bei ähnlichen Massenfesten geleistet wird; nur die 
Bedienung war ausreichend und prompt. 
Am auffallendsten war mir der Unterschied in den Anordnungen 
für die Circulation. Das Versailler Schloß bietet dafür eine viel 
größere Leichtigkeit, als das Berliner vermöge der größern Zahl 
und, abgesehn von dem Weißen Saale, der größern Ausdehnung 
der Räume. Hier war den Soupirenden Nro. 1 für ihren Rückzug 
derselbe Weg angewiesen, wie den Hungrigen Nro. 2, deren stürmischer 
Anmarsch schon eine weniger höfische gesellschaftliche Gewöhnung 
verrieth. Es kamen körperliche Zusammenstöße der gestickten und 
bebänderten Herrn und reich eleganten Damen vor, die in Hand- 
greiflichkeiten und Verbalinjurien übergingen, wie sie bei uns im 
Schlosse unmöglich wären. Ich zog mich mit dem befriedigenden 
Eindruck zurück, daß trotz alles Glanzes des Kaiserlichen Hofes der 
Hofdienst, die Erziehung und die Manieren der Hofgesellschaft bei 
uns, wie in Petersburg und Wien höher standen als in Paris, 
und daß die Zeiten hinter uns lagen, da man in Frankreich und 
am Pariser Hofe eine Schule der Höflichkeit und des guten Be- 
nehmens durchmachen konnte. Selbst die, namentlich im Vergleich 
mit Petersburg, veraltete Etikette kleiner deutscher Höfe war würde- 
voller als die imperialistische Praxis. Freilich habe ich diesen Ein- 
druck schon unter Louis Philipp gehabt, während dessen Regirung 
es in Frankreich gradezu Mode wurde, sich in der Richtung über- 
triebener Ungenirtheit und des Verzichtes auf Höflichkeit besonders 
gegen Damen hervorzuthun. War es nun auch in dieser Bezichung 
während des zweiten Kaiserreichs besser geworden, so blieben doch 
der Ton in der amtlichen und höfischen Gesellschaft und die Haltung 
des Hofes selbst gegen die drei östlichen großen Höfe zurück. Nur 
in den der amtlichen Welt fremden legitimistischen Kreisen war es 
zur Zeit Louis Philipp's sowohl, wie Louis Napoleon's anders, der 
Ton tadellos, höflich und gastlich, mit gelegentlichen Ausnahmen 
der jüngern, mehr verpariserten Herrn, die ihre Gewohnheiten 
nicht der Familie, sondern dem Club entnahmen.
	        
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