Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

Briefwechsel mit Gerlach über Frankreich. 165 
kann und will, so drücke ich mich mit Zurückhaltung aus, wenn 
ich sage: Ich habe dafür kein Verständniß als Diplomat und finde 
mit der Annahme eines solchen Systems in auswärtigen Be- 
ziehungen das ganze Gewerbe der Diplomatie bis auf das Con- 
sularwesen hinunter überflüssig und thatsächlich cassirt. Sie sagen 
mir, „der Mann ist unser natürlicher Feind, und daß er es ist und 
bleiben muß, wird sich bald zeigen“; ich könnte das bestreiten oder 
mit demselben Rechte sagen: „Oestreich, England sind unfre Feinde, 
und daß sie es sind, zeigt sich schon längst, bei Oestreich natür- 
licher, bei England unnatürlicher Weise.“ Aber ich will das auf 
sich beruhn lassen und annehmen, Ihr Satz wäre richtig, so kann 
ich es auch dann noch nicht für politisch halten, unfre Befürch- 
tungen schon im Frieden von andern und von Frankreich selbst 
erkennen zu lassen, sondern finde es, bis der von Ihnen vorher- 
gesehne Bruch wirklich eintritt, immer noch nützlich, die Leute 
glauben zu lassen, daß ein Krieg gegen Frankreich uns nicht noth- 
wendig über kurz oder lang bevorsteht, daß er wenigstens nichts 
von Preußens Lage Unzertrennliches, daß die Spannung gegen 
Frankreich nicht ein organischer Fehler, eine angeborne schwache 
Seite unsrer Natur ist, auf die jeder Andre mit Sicherheit 
speculiren kann. Sobald man uns für kühl mit Frankreich hält, 
wird auch der Bundescollege hier kühl für mich 
v B 44 
Gerlach antwortete wie folgt: 
„Berlin, 6. Mai 1857. 
Ihr Brief vom 2. hat auf der einen Seite mir eine große 
Freude gemacht, da ich daraus sehe, daß es Ihnen am Herzen 
liegt, mit mir in Einigkeit zu bleiben oder zu kommen, woraus 
sich die meisten Menschen wenig machen, auf der andern Seite 
aber auch zum Widerspruch und zur eignen Rechtfertigung auf- 
gefordert. 
Zunächst bilde ich mir ein, doch immer noch im innersten 
Grunde mit Ihnen einig zu sein. Wäre das nicht der Fall, so
	        
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