Briefwechsel mit Gerlach über Frankreich. 179
dern ihn nur frei von den Zuthaten zur Anschauung bringen, welche
seinem Wesen nicht nothwendig eigen sind. Zu solchen rechne ich
serner die ungerechten Kriege und Eroberungen. Diese sind kein
eigenthümliches Attribut der Familie Bonaparte oder des nach ihr
benannten Regirungssystems. Legitime Erben alter Throne können
das auch. Ludwig XIV. hat nach seinen Kräften nicht weniger
heidnisch in Deutschland gewirthschaftet als Napoleon, und wenn
letztrer mit seinen Anlagen und Neigungen als Sohn Ludwigs XVI.
geboren wäre, so hätte er uns vermuthlich auch das Leben sauer
genug gemacht.
Der Trieb zum Erobern ist England, Nordamerika, Rußland
und andern nicht minder eigen als dem Napoleonischen Frankreich,
und sobald Macht und Gelegenheit dazu sich finden, ist es auch
bei der legitimsten Monarchie schwerlich die Bescheidenheit oder die
Gerechtigkeitsliebe, welche ihm Schranken setzt. Bei Napoleon III.
scheint er als Instinct nicht zu dominiren; derselbe ist kein Feld-
herr, und im großen Kriege, mit großen Erfolgen oder Gefahren
könnte es kaum fehlen, daß die Blicke der französischen Armee, der
Trägerin seiner Herrschaft, sich mehr auf einen glücklichen General
als auf den Kaiser richteten. Er wird daher den Krieg nur dann
suchen, wenn er sich durch innre Gefahren dazu genöthigt glaubt.
Eine solche Nöthigung würde aber für den legitimen König von
Frankreich, wenn er jetzt zur Regirung käme, von Hause aus vor-
handen sein.
Weder die Erinnerung an die Eroberungssucht des Onkels,
noch die Thatsache des ungerechten Ursprungs seiner Macht be-
rechtigt mich also, den gegenwärtigen Kaiser der Franzosen als den
ausschließlichen Repräsentanten der Revolution, als vorzugsweises
Object des Kampfes gegen dieselbe zu betrachten. Den zweiten
Makel theilt er mit vielen bestehenden Gewalten, und des erstern
ist er bisher nicht verdächtiger als Andre. Sie, verehrtester Freund,
werfen ihm vor, daß er sich nicht halten könne, wenn nicht ringsum
alles so sei, wie bei ihm; wenn ich das für richtig erkännte, so