In Schweden und Kurland. Erkrankung des Königs. 197
schen Kreisen war die Vorstellung verbreitet, daß ein ähnlicher Zu-
stand ihn schon in der Nacht vom 18. zum 19. März 1848 be-
fallen habe. Die Aerzte beriethen, ob sie einen Aderlaß machen
sollten oder nicht, wovon sie im ersten Falle Störungen im Gehirn,
im zweiten Tod befürchteten, und entschieden sich erst nach mehren
Tagen für den Aderlaß, der den König wieder zum Bewußtsein
brachte.
Während dieser Tage, also mit der Möglichkeit eines sofortigen
Regirungsantritts vor Augen — am 19. October —, machte der
Prinz von Preußen mit mir einen langen Spaziergang durch die
neuen Anlagen und sprach mit mir darüber, ob er, wenn er zur
Regirung komme, die Verfassung unverändert annehmen oder zuvor
eine Revision derselben fordern solle. Ich sagte, die Ablehnung
der Verfassung würde sich rechtfertigen lassen, wenn das Lehnrecht
anwendbar wäre, nach welchem ein Erbe zwar an Verfügungen
des Vaters, aber nicht des Bruders gebunden sei. Aus Gründen
der Politik aber riethe ich, nicht an der Sache zu rühren, nicht
die mit einer, wenn auch bedingten Ablehnung verbundene Un-
sicherheit unfrer staatlichen Zustände herbeizuführen. Man dürfe
nicht die Befürchtung der Möglichkeit des Systemwechsels bei jedem
Thronwechsel hervorrufen. Preußens Ansehn in Deutschland und
seine europäische Actionsfähigkeit würden durch einen Zwist zwischen
der Krone und dem Landtage gemindert werden, die Parteinahme
gegen den beabsichtigten Schritt in dem liberalen Deutschland
eine allgemeine sein. Bei meiner Schilderung der zu befürchtenden
Folgen ging ich von demselben Gedanken aus, den ich ihm 1866,
als es sich um die Indemnität handelte, zu entwickeln hatte: daß
Verfassungsfragen den Bedürfnissen des Landes und seiner politi-
schen Lage in Deutschland untergeordnet wären, ein zwingendes
Bedürfniß an der unfrigen zu rühren, jetzt nicht vorliege; daß für
jetzt die Machtfrage und innere Geschlossenheit die Hauptsache sei.
Als ich nach Sanssouci zurückkam, fand ich Edwin Manteuffel
besorglich erregt über meine lange Unterhaltung mit dem Prinzen