Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

Unterredung mit dem Prinzen über den Petersb urger Posten. 203 
meine Abberufung von Frankfurt. Die Ernennung von Usedom 
werde das Vertrauen der deutschen Höfe abschwächen, weil er unklar 
liberal und mehr anekdotenerzählender Höfling als Staatsmann sei; 
und Frau von Usedom würde uns durch ihre Excentricität Verlegen- 
heit und unerwünschte Eindrücke in Frankfurt zuziehn. 
Worauf der Regent: „Das ist es ja eben, daß die hohe Be- 
fähigung Usedoms sich nirgendwo anders verwerthen läßt, weil seine 
Frau an jedem Hofe Verlegenheiten herbeiführen würde.“ Letztres 
geschah nicht bloß an Höfen, sondern auch in dem duldsamen Frank- 
furt, und die Unannehmlichkeiten, welche sie in Ueberschätzung ihrer 
gesandschaftlichen Prärogative Privatleuten bereitete, arteten bis 
zu öffentlichen Scandalosen aus. Aber Frau von Usedom war 
geborne Engländerin und fand deshalb bei der Inferiorität des 
deutschen Selbstgefühls bei Hofe eine Nachsicht, deren sich keine 
deutsche Frau zu erfreuen gehabt haben würde. 
Meine Erwiderung dem Regenten gegenüber lautete ungefähr: 
„Dann ist es also ein Fehler, daß ich nicht auch eine taktlose Frau 
geheirathet habe, sonst würde ich auf den Posten, auf dem ich mich 
heimisch fühle, denselben Anspruch haben, wie Graf Usedom.“ 
Darauf der Regent: „Ich begreife nicht, wie Sie die Sache 
so bitter auffassen können; Petersburg hat doch immer für den 
obersten Posten der preußischen Diplomatie gegolten, und Sie sollten 
es als einen Beweis hohen Vertrauens aufnehmen, daß ich Sie 
dahin schicke.“ 
Darauf ich: „Sobald Ew. Königliche Hoheit mir dieses Zeug- 
niß geben, so muß ich natürlich schweigen, kann aber doch bei der 
Freiheit des Wortes, die Ew. Königliche Hoheit mir jederzeit ge- 
stattet haben, nicht umhin, meine Sorge über die heimische Situation 
und ihren Einfluß auf die deutsche Frage auszusprechen. Usedom 
ist ein brouillon, kein Geschäftsmann. Seine Instruction wird er 
von Berlin erhalten; wenn Graf Schlieffen Decernent für deutsche 
Sachen bleibt, so werden die Instructionen gut sein; an ihre ge- 
wissenhafte Ausführung glaube ich bei Usedom nicht.“
	        
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