Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

204 Neuntes Kapitel: Reisen. Regentschaft. 
Gleichwohl wurde er nach Frankfurt ernannt. Daß ich ihm 
mit meinem Urtheil nicht Unrecht gethan, bewies sein späteres Ver- 
halten in Turin und Florenz. Er posirte gerne als Stratege, auch 
als „verfluchter Kerl“ und tief eingeweihter Verschwörer, hatte Ver- 
kehr mit Garibaldi und Mazzini und that sich etwas darauf zu 
Gute. In der Neigung zu unterirdischen Verbindungen nahm er 
in Turin einen angeblichen Mazzinisten, in der That östreichischen 
Spitzel, als Privatsekretär an, gab ihm die Akten zu lesen und 
den Chiffre in die Hände. Er war Wochen und Monate von 
seinem Posten abwesend, hinterließ Blanquets, auf welche die 
Legationssekretäre Berichte schrieben; so gelangten an das Aus- 
wärtige Amt Berichte mit seiner Unterschrift über Unterredungen, 
die er mit den italienischen Ministern gehabt haben sollte, ohne 
daß er diese Herrn in der betreffenden Zeit gesehn hatte. Aber 
er war ein hoher Freimaurer. Als ich im Februar 1869 die Ab- 
berufung eines so unbrauchbaren und bedenklichen Beamten ver- 
langte, stieß ich bei dem Könige, der die Pflichten gegen die Brüder 
mit einer fast religiösen Treue erfüllte, auf einen Widerstand, der 
auch durch meine mehrtägige Enthaltung von amtlicher Thätigkeit 
nicht zu überwinden war und mich zu der Absicht brachte, meinen 
Abschied zu erbitten 1). Indem ich jetzt nach mehr als 20 Jahren 
die betreffenden Papiere wieder lese, befällt mich eine Reue darüber, 
daß ich damals, zwischen meine Ueberzeugung von dem Staats- 
interesse und meine persönliche Liebe zu dem Könige gestellt, der 
erstern gefolgt bin und folgen mußte. Ich fühle mich heut beschämt 
von der Liebenswürdigkeit, mit welcher der König meine amtliche 
Pedanterie ertrug. Ich hätte ihm und seinem Maurerglauben den 
Dienst in Florenz opfern sollen. Am 22. Februar schrieb mir 
S. M.: „Ueberbringer dieser Zeilen [Cabinetsrath Wehrmann)] hat 
mir Mittheilung von dem Auftrage gemacht, den Sie ihm für Sich 
gegeben haben. Wie können Sie nur daran denken, daß ich auf 
  
1!) Vgl. Bismarck-Jahrbuch 1 76 ff.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.