Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

220 Zehntes Kapitel: Petersburg. 
alexandrinischen Zeitalter angehörte und in ihm durch Intelligenz 
und Tapferkeit sich aus der Stellung eines jungen Offiziers in einem 
Linienregimente, in dem er die französischen Kriege mitgemacht, zu 
einem Staatsmanne emporgearbeitet hatte, dessen Wort bei dem 
Kaiser Nicolaus erheblich in's Gewicht fiel. Die Annehnmlichkeit 
seines gastfreien Hauses in Berlin wie in Petersburg wurde wesent- 
lich erhöht durch seine Gemalin, eine männlich kluge, vornehme, 
ehrliche und liebenswürdige Frau, die in noch höherm Grade als 
ihre Schwester, Frau von Vrints in Frankfurt, den Beweis lieferte, 
daß in der gräflich Buol'schen Familie der erbliche Verstand ein 
Kunkellehn war. Ihr Bruder, der östreichische Minister Graf Buol, 
hatte daran nicht den Antheil geerbt, der zur Leitung der Politik 
einer großen Monarchie unentbehrlich ist. Die beiden Geschwister 
standen einander persönlich nicht näher als die russische und die 
östreichische Politik. Als ich 1852 in besondrer Mission in Wien 
beglaubigt war, war das Verhältniß zwischen ihnen noch derart, 
daß Frau von Meyendorff geneigt war, mir das Gelingen meiner 
für Oestreich freundlichen Mission zu erleichtern, wofür ohne Zweifel 
die Instructionen ihres Gemals maßgebend waren. Der Kaiser 
Nicolaus wünschte damals unfre Verständigung mit Oestreich. Als 
ein oder zwei Jahre später, zur Zeit des Krimkriegs, von meiner 
Ernennung nach Wien die Rede war, fand das Verhältniß zwischen 
ihr und ihrem Bruder in den Worten Ausdruck: sie hoffe, daß ich 
nach Wien kommen und „dem Karl ein Gallenfieber anärgern würde“. 
Frau von Meyendorff war als Frau ihres Gemals patriotische 
Russin und würde auch ohnedies schon nach ihrem persönlichen Ge- 
fühl die feindselige und undankbare Politik nicht gebilligt haben, 
zu welcher Graf Buol Oestreich bewogen hatte. 
Die dritte Generation, die der jungen Herrn, zeigte in ihrem 
gesellschaftlichen Auftreten meist weniger Höflichkeit, mitunter schlechte 
Manieren und in der Regel stärkere Abneigung gegen deutsche, ins- 
besondre preußische Elemente, als die beiden ältern Generationen. 
Wenn man, des Russischen unkundig, sie deutsch anredete, so waren
	        
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