Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

226 Zehntes Kapitel: Petersburg. 
damals in der ersten Blüthe jugendlicher Schönheit stehende Prin- 
zessin Leuchtenberg, später Gemalin des Prinzen Wilhelm von 
Baden, an Stelle ihrer Großmutter mit der ihr eignen Grazie 
und Heiterkeit die Honneurs zu machen. Auch erinnere ich mich, 
daß bei einer andern Gelegenheit eine vierjährige Großfürstin sich 
um den Tisch von vier Personen bewegte und sich weigerte, einem 
hohen General die gleiche Höflichkeit wie mir zu erweisen. Es 
war mir sehr schmeichelhaft, daß dieses großfürstliche Kind auf die 
großmütterliche Vorhaltung antwortete: in Bezug auf mich: on 
milü (er ist lieb), in Bezug auf den General aber hatte sie die 
Naivität, zu sagen: on wonajet (er stinkt), worauf das grofßfürst- 
liche enfant terrible entfernt wurde. 
Es ist vorgekommen, daß preußische Offiziere, welche lange in 
einem der kaiserlichen Schlösser wohnten, von russischen guten 
Freunden vertraulich befragt wurden, ob sie wirklich so viel Wein 
u. dergl. verbrauchten, wie für sie entnommen werde; dann würde 
man sie um ihre Leistungsfähigkeit beneiden und ferner dafür sorgen. 
Diese vertrauliche Erkundigung traf auf Herrn von sehr mäßigen 
Gewohnheiten, mit ihrem Einverständnisse wurden die von ihnen 
bewohnten Gemächer untersucht: in Wandschränken, mit denen 
sie unbekannt waren, fanden sich zurückgelegte Vorräthe hoch- 
werthiger Weine und sonstiger Bedürfnisse in Massen. 
Bekannt ist, daß dem Kaiser einmal das ungewöhnliche Quantum 
von Talg aufgefallen war, welches jedes Mal in den Rechnungen 
erschien, wenn der Prinz von Preußen zum Besuche dort war, und 
daß schließlich ermittelt wurde, daß er bei seinem ersten Besuche 
sich durchgeritten und am Abend das Verlangen nach etwas Talg 
gestellt hatte. Das verlangte Loth dieses Stoffes hatte sich bei 
spätern Besuchen in Pud verwandelt. Die Aufklärung erfolgte 
zwischen den hohen Herrschaften persönlich und hatte eine Heiter- 
keit zur Folge, welche den betheiligten Sündern zu Gute kam. 
Von einer andern russischen Eigenthümlichkeit gab es bei 
meiner ersten Anwesenheit in Petersburg 1859 eine Probe. In
	        
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