Ein enfant terrible. Russische Unterschleife. Russische Beharrlichkeit. 227
den ersten Tagen des Frühlings machte damals die zum Hofe ge-
hörige Welt ihren Spaziergang in dem Sommergarten zwischen
dem Pauls-Palais und der Newa. Dort war es dem Kaiser auf-
gefallen, daß in der Mitte eines Rasenplatzes ein Posten stand.
Da der Soldat auf die Frage, weshalb er da stehe, nur die Aus-
kunft zu geben wußte: es ist befohlen, so licß sich der Kaiser durch
seinen Adjutanten auf der Wache erkundigen, erhielt aber auch
keine andre Aufklärung, als daß der Posten Winter und Sommer
gegeben werde. Der ursprüngliche Befehl sei nicht mehr zu er-
mitteln. Die Sache wurde bei Hofe zum Tagesgespräch und ge-
langte auch zur Kenntniß der Dienerschaft. Aus dieser meldete
sich ein alter Pensionär und gab an, daß sein Vater ihm gelegent-
lich im Sommergarten gesagt habe, während sie an der Schild-
wache vorbeigegangen: „Da steht er noch immer und bewacht die
Blume; die Kaiserin Katharina hat an der Stelle einmal ungewöhn-
lich früh im Jahre ein Schneeglöckchen wahrgenommen und be-
fohlen, man solle sorgen, daß es nicht abgepflückt werde.“ Dieser
Befehl war durch Aufstellung einer Schildwache zur Ausführung
gebracht worden, und seitdem hatte der Posten Jahr aus Jahr ein
gestanden. Dergleichen erregt unsre Kritik und Heiterkeit, ist aber
ein Ausdruck der elementaren Kraft und Beharrlichkeit, auf denen
die Stärke des russischen Wesens dem übrigen Europa gegenüber
beruht. Man erinnert sich dabei der Schildwachen, die während
der Ueberschwemmung in Petersburg 1825, im Schipka-Passe 1877
nicht abgelöst wurden, und von denen die Einen ertranken, die
Andern auf ihren Posten erfroren.
III.
Während des italienischen Krieges glaubte ich noch an die
Möglichkeit, in der Stellung eines Gesandten in Petersburg, wie
ich es von Frankfurt aus mit wechselndem Erfolge versucht hatte,