Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

228 Zehntes Kapitel: Petersburg. 
auf die Entschließungen in Berlin einwirken zu können, ohne mir 
klar zu machen, daß die übermäßigen Anstrengungen, die ich mir 
zu diesem Zwecke in meiner Berichterstattung auferlegte, ganz 
fruchtlos sein mußten, weil meine Immediatberichte und meine in 
Form eigenhändiger Briefe gefaßten Mittheilungen entweder gar— 
nicht zur Kenntniß des Regenten gelangten oder mit Commentaren, 
die jeden Eindruck hinderten. Meine Ausarbeitungen hatten außer 
einer Complicirung der Krankheit, in welche ich durch ärztliche Ver- 
giftung gefallen war, nur die Folge, daß die Genauigkeit meiner 
Berichte über die Stimmungen des Kaisers verdächtigt wurde, und 
um mich zu controlliren, der Graf Münster, früher Militärbevoll= 
mächtigter in Petersburg, dorthin geschickt wurde. Ich war im 
Stande, dem mir befreundeten Inspicienten zu beweisen, daß 
meine Meldungen auf der Einsicht eigenhändiger Bemerkungen des 
Kaisers am Rande der Berichte russischer Diplomaten beruhten, die 
Gortschakow mir vorgelegt hatte, und daneben auf mündlichen Mit- 
theilungen persönlicher Freunde, die ich in dem Cabinet und am 
Hofe besaß. Die eigenhändigen Marginalien des Kaisers waren 
mir vielleicht mit berechneter Indiscretion vorgelegt worden, damit 
ihr Inhalt auf diesem weniger verstimmenden Wege nach Berlin 
gelangen sollte. 
Diese und andre Formen, in denen ich von besonders wichtigen 
Mittheilungen Kenntniß erhielt, sind charakteristisch für die damaligen 
politischen Schachzüge. Ein Herr, welcher mir gelegentlich eine 
solche vertraute, wandte sich beim Abschiede in der Thür um und 
sagte: „Meine erste Indiscretion nöthigt mich zu einer zweiten. 
Sie werden die Sache natürlich nach Berlin melden, benutzen Sie 
aber dazu nicht Ihren Chiffre Nr. so und so, den besitzen wir seit 
Jahren, und nach Lage der Dinge würde man bei uns auf mich 
als Quelle schließen. Außerdem werden Sie mir den Gefallen 
thun, den compromittirten Chiffre nicht plötzlich fallen zu lassen, 
sondern ihn noch einige Monate lang zu unverfänglichen Tele- 
grammen zu benutzen.“ Damals glaubte ich zu meiner Beruhigung
	        
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