Ohne Einfluß in Berlin. Das Briefgeheimniß in Rußland u. Oestreich. 229
aus diesem Vorgange die Wahrscheinlichkeit zu entnehmen, daß nur
dieser eine unsrer Chiffres sich im russischen Besitze befand. Die
Sicherstellung des Chiffres war in Petersburg besonders schwierig,
weil jede Gesandschaft russische Diener und Subalterne nothwendig
im Innern des Hauses verwenden mußte und die politische Polizei
unter diesen sich leicht Agenten verschaffte.
Zur Zeit des östreichisch-französischen Krieges klagte mir der
Kaiser Alexander in vertraulichem Gespräche über den heftigen und
verletzenden Ton, in welchem die russische Politik in Correspondenzen
deutscher Fürsten an kaiserliche Familienglieder kritisirt werde. Er
schloß die Beschwerde über seine Verwandten mit den entrüsteten
Worten: „Das Beleidigende für mich in der Sache ist, daß die
deutschen Herrn Vettern ihre Grobheiten mit der Post schicken,
damit sie sicher zu meiner persönlichen Kenntniß gelangen.“ Der
Kaiser hatte kein Arg bei diesem Eingeständniß und war unbefangen
der Meinung, daß es sein monarchisches Recht sei, auch auf diesem
Wege von der Correspondenz Kenntniß zu erhalten, deren Trägerin
die russische Post war.
Auch in Wien haben früher ähnliche Einrichtungen bestanden.
Vor Erbauung der Eisenbahnen hat es Zeiten gegeben, in denen
nach Ueberschreitung der Grenze ein östreichischer Beamter zu dem
preußischen Courier in den Wagen stieg, und unter Assistenz des
Letztern die Depeschen mit gewerbsmäßigem Geschicke geöffnet, ge-
schlossen und excerpirt wurden, bevor sie an die Gesandschaft in
Wien gelangten. Noch nach dem Aufhören dieser Praxis galt es
für eine vorsichtige Form amtlicher Mittheilung von Cabinet zu
Cabinet nach Wien oder Petersburg, wenn dem dortigen preußischen
Gesandten mit einfachem Postbriefe geschrieben wurde. Der Inhalt
wurde von beiden Seiten als insinuirt angesehn, und man bediente
sich dieser Form der Insinuation gelegentlich dann, wenn die
Wirkung einer unangenehmen Mittheilung im Interesse der Tonart
des formalen Verkehrs abgeschwächt werden sollte. Wie es in der
Post von Thurn und Taxis mit dem Briefgeheimniß bestellt war,