Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

Der Regent erklärt sich für die von Schleinitz vertretene Politik. 239 
also unter geschickter Berührung einer Saite, die im Gemüth des 
Regenten ihren Anklang nie versagte, unter Schilderung der Be- 
denken und Gefahren, die von Westen (Paris) und im Innern 
drohten, wenn die Beziehungen zu Oestreich trotz aller berechtigten 
Gründe zur Empfindlichkeit nicht erhalten würden. Die Gefahren 
russisch-französischer Verbindungen, die schon damals in der Oeffent- 
lichkeit eine Rolle spielten, wurden entwickelt, die Möglichkeit preu- 
Pßisch-russischer Verbindungen als von der öffentlichen Meinung ver- 
urtheilt dargestellt. Charakteristisch war, daß, sobald Schleinitz sein 
letztes Wort eines geläufigen und offenbar vorbereiteten Vortrages 
gesprochen hatte, der Regent wiederum das Wort nahm und in 
klarer Entwicklung erklärte, daß er sich in Erinnerung an die väter- 
lichen Traditionen für die Darstellung des Ministers von Schleinitz 
entscheide, und damit wurde die Erörterung kurzer Hand geschlossen. 
Die Schnelligkeit, mit welcher er sich entschied, nachdem das 
letzte Wort des Ministers gefallen war, ließ mich annehmen, daß 
die ganze mise en sceène vorher verabredet war und nach dem 
Willen der Prinzessin sich entwickelt hatte, um den Ansichten des 
Fürsten von Hohenzollern und Auerswalds eine äußerliche Berück- 
sichtigung zu gewähren, während sie schon damals sich mit diesen 
Beiden und deren Neigung, das Cabinet durch meine Zuziehung zu 
stärken, nicht im Einklang befand. 
In der Politik der Prinzessin, welche für ihren Gemal und 
für den Minister von erheblichem Gewicht war, gaben, wie ich an- 
nahm, eher gewisse Abneigungen den Ausschlag als positive Ziele. 
Die Abneigungen richteten sich gegen Rußland, gegen Louis Na- 
poleon, mit dem Beziehungen zu unterhalten ich im Verdacht stand, 
gegen mich, wegen Neigung zu unabhängiger Meinung und wegen 
wiederholter Weigerung, Ansichten der hohen Frau bei ihrem Ge- 
mal als meine eignen zu vertreten. Ihre Geneigtheiten wirkten 
in demselben Sinne. Herr von Schleinitz war politisch ihr Ge- 
schöpf, ein von ihr abhängiger Höfling ohne eigne politische Ueber- 
zeugung.
	        
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