Briefwechsel mit Roon über die Huldigungsfrage. 243
fällt, und wenn man meinem Könige ein Recht bestreitet, welches
er ausüben will und kann, so fühle ich mich verpflichtet es zu ver-
fechten, wenn ich auch an sich nicht von der practischen Wichtigkeit
seiner Ausübung durchdrungen bin. In diesem Sinne telegraphirte
ich an Schlieffen, daß ich den „Besitztitell, auf dessen Grund ein neues
Ministerium sich etabliren soll, für richtig halte, und sehe die Weige-
rung der andern Partei und die Wichtigkeit, welche sie auf Verhütung
des Huldigungsactes legt, als doctrinäre Verbissenheit an. Wenn
ich hinzufügte, daß ich die sonstige Vermögenslage nicht kenne,
so meinte ich damit nicht die Personen und Fähigkeiten, mit denen
wir das Geschäft übernehmen könnten, sondern das Programm,
auf dessen Boden wir zu wirthschaften haben würden. Darin wird
m. E. die Schwierigkeit liegen. Meinem Eindruck nach lag der
Hauptmangel unfrer bisherigen Politik darin, daß wir liberal in
Preußen und conservativ im Auslande auftraten, die Rechte unfres
Königs wohlfeil, die fremder Fürsten zu hoch hielten. Eine natür-
liche Folge des Dualismus zwischen der constitutionellen Richtung
der Minister und der legitimistischen, welche der persönliche Wille
Seiner Majestät unsrer auswärtigen Politik gab. Ich würde mich
nicht leicht zu der Erbschaft Schwerins entschließen, schon weil ich
mein augenblickliches Gesundheits-Capital dazu nicht ausreichend
halte. Aber selbst wenn es der Fall wäre, würde ich auch im
Innern das Bedürfniß einer andern Färbung unsrer auswärtigen
Politik fühlen. Nur durch eine Schwenkung in unfrer „auswärtigen“
Haltung kann, wie ich glaube, die Stellung der Krone im Innern
von dem Andrang degagirt werden, dem sie auf die Dauer sonst
thatsächlich nicht widerstehn wird, obschon ich an der Zuläng-
lichkeit der Mittel dazu nicht zweifle. Die Pression der Dämpfe
im Innern muß ziemlich hoch gespannt sein, sonst ist es garnicht
verständlich, wie das öffentliche Leben bei uns von Lappalien wie
Stieber, Schwark, Macdonald, Patzke, Twesten u. dergl. so auf-
geregt werden konnte, und im Auslande wird man nicht begreifen,
wie die Huldigungsfrage das Cabinet sprengen konnte. Man sollte