Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

Krönung Wilhelms I. Gespräch mit der Königin. 249 
hätte gehört, dieselbe sei beigelegt, und sagte, ich sei nur ge— 
kommen, um seine persönliche Zustimmung dazu zu erbitten, daß 
ich meinen Urlaub bis nach der im Herbst bevorstehenden Krönung, 
also über die gegebenen drei Monat hinaus ausdehnen dürfe. Der 
König sagte das in freundlicher Weise zu und lud mich persönlich 
zur Tafel. 
Nachdem ich den August und September in Reinfeld und 
Stolpmünde zugebracht hatte, traf ich am 13. October in Königs- 
berg ein, wo am 18. die Krönung vor sich ging. 
Während der Festlichkeiten sah ich, daß in der Stimmung der 
Königin eine Veränderung vorgegangen war, die vielleicht mit dem 
inzwischen erfolgten Rücktritt von Schleinitz zusammenhing. Sie 
ergriff die Initiative zur Besprechung national-deutscher Politik 
mit mir. Ich begegnete dort zum ersten Male dem Grafen Bern- 
storff als Minister, der zu einer bestimmten Entschließung über 
seine Politik noch nicht gelangt zu sein schien und mir in unsern 
Gesprächen den Eindruck machte, als ringe er nach einer Meinung. 
Die Königin zeigte sich gegen mich freundlicher als seit langen 
Jahren, sie zeichnete mich in augenfälliger Weise aus, offenbar 
über die im Augenblick von dem Könige gewünschte Linie hinaus. 
In einem Moment, der ceremoniell für Unterhaltung kaum Zeit 
bot, blieb sie vor mir, der ich in dem Haufen stand, stehn und 
begann mit mir ein Gespräch über deutsche Politik, dem der sie 
führende König, ein Zeit lang vergebens, ein Ende zu machen 
suchte. Das Verhalten beider Herrschaften bei dieser und andern 
Gelegenheiten bewies, daß damals eine Meinungsverschiedenheit 
über die Behandlung der deutschen Frage zwischen ihnen bestand; 
ich vermuthe, daß Graf Bernstorff Ihrer Majestät nicht sympathisch 
war. Der König vermied, mit mir über Politik zu reden, wahr- 
scheinlich in der Besorgniß, durch Beziehungen zu mir in eine 
reactionäre Beleuchtung zu gerathen. Diese Besorgniß beherrschte 
ihn noch im Mai 1862 und sogar noch im September 1862. Er 
hielt mich für fanatischer als ich war. Nicht ohne Einfluß war
	        
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