252 Elftes Kapitel: Zwischenzustand.
keins von beiden ist ja eine Schande. Beide Posten gleichzeitig
zu behalten, ist schon weniger vorwurfsfrei. Sobald ich etwas zu
berichten, d. h. den Kaiser unter vier Augen gesprochen habe, werde
ich dem Könige eigenhändig schreiben. Ich schmeichle mir noch
immer mit der Hoffnung, daß ich Seiner Majestät weniger unent—
behrlich erscheinen werde, wenn ich ihm eine Zeit lang aus den
Augen bin, und daß sich noch ein bisher verkannter Staatsmann
findet, der mir den Rang abläuft, damit ich hier noch etwas reifer
werde. Ich warte in Ruhe ab, ob und was über mich verfügt
wird. Geschieht in einigen Wochen nichts, so werde ich um Urlaub
bitten, um meine Frau zu holen, muß dann aber doch Sicherheit
haben, wie lange ich hier bleibe. Auf achttägige Kündigung kann
ich mich hier dauernd nicht einrichten.
Der Gedanke, mir ein Ministerium ohne Portefeuille zu geben,
wird hoffentlich Allerhöchsten Ortes nicht Raum gewinnen; bei der
letzten Audienz war davon nicht die Rede; die Stellung ist nicht
practisch; nichts zu sagen und alles zu tragen haben, in alles
unberufen hineinstänkern und von jedem abgebissen, wo man
wirklich mitreden will. Mir geht Portefeuille über Präsidium;
letztres ist doch nur eine Reservestellung; auch würde ich nicht gern
einen Collegen haben, der halb in London wohnt. Will er nicht
ganz dahin ziehn, so gönne ich ihm von Herzen zu bleiben, wo er
ist, und halte es nicht für freundschaftlich, ihn zu drängen.
Herzliche Grüße an die Ihrigen. Ihr treuer Freund und
bereitwilliger, aber nicht muthwilliger Kampfgenosse, wenn's sein
muß; im Winter noch lieber, als bei die Hitze!“
Unter dem 4. Juni schrieb mir Roon von Berlin #:
„. . . Am Sonntage sprach mir Schleinitz über den Ersatz für
Hohenlohe und meinte, Ihre Zeit wäre noch nicht gekommen. Als
ich ihn fragte, wer denn als Haupt des Ministerii fungiren
1) Der Brief ist vollständig veröffentlicht im Bismarck-Jahrbuch III
233 f., jetzt auch in Roon's Denkwürdigkeiten II“ 93 ff.