256 Elftes Kapitel: Zwischenzustand.
10. Juni. Die Antwort Sr. M. auf die Adresse macht in
ihrer zurückhaltenden Gemessenheit einen sehr würdigen Eindruck,
und kühl, keine Gereiztheit. Anspielungen auf Schleinitz' Eintritt
für Hohenlohe finden sich in mehren Blättern. Ich gönne es ihm.
von Herzen, und Hausminister bleibt er dabei doch.
Ich schicke diesen Brief morgen mit dem Feldjäger, der dann
in Aachen bleibt, bis er wieder etwas aus Berlin herzubringen
bekommt. Meine Empfehlungen an Ihre Damen; den Meinigen
geht es gut. In alter Treue
Ihr
v B.“
Am 26. Juni hatte der Kaiser mich nach Fontainebleau ein-
geladen und machte mit mir einen längern Spaziergang. Im
Laufe der Unterhaltung über politische Fragen des Tages und der
letzten Jahre fragte er mich unerwartet, ob ich glaubte, daß der
König geneigt sein würde, auf eine Allianz mit ihm einzugehn.
Ich antwortete, der König hätte die freundschaftlichsten Gesinnungen
für ihn, und die Vorurtheile, die früher in der öffentlichen Meinung
bei uns in Betreff Frankreichs geherrscht hätten, seien so ziemlich
verschwunden; aber Allianzen seien das Ergebniß der Umstände,
nach denen das Bedürfniß oder die Nützlichkeit zu beurtheilen sei.
Eine Allianz setze ein Motiv, einen bestimmten Zweck voraus.
Der Kaiser bestritt die Nothwendigkeit einer solchen Voraussetzung:
es gäbe Mächte, die freundlich zu einander ständen, und andre,
bei denen das weniger der Fall sei. Angesichts einer ungewissen
Zukunft müsse man sein Vertrauen nach irgend einer Seite richten.
Er spreche von einer Allianz nicht mit der Absicht eines abenteuer-
lichen Projects; aber er finde zwischen Preußen und Frankreich
eine Conformität der Interessen und darin die Elemente einer
entente intime et durable. Es würde ein großer Fehler sein, die
Ereignisse schaffen zu wollen; man könne ihre Richtung und
Stärke nicht vorausberechnen, aber man könne sich ihnen gegenüber
einrichten, se prémunir, en avisant aux moyens pour y faire face