258 Elftes Kapitel: Zwischenzustand.
ihren Cours habe, so lange man sie als Leitseil für uns oder die
Würzburger gebrauchte. Wenn eine französisch-östreichische Coa-
lition nicht schon jetzt gegen uns bestände, so hätten wir das nicht
Oestreich, sondern Frankreich zu danken, und nicht einer etwaigen
Vorliebe Napoleons für uns, sondern seinem Mißtrauen, ob Oest-
reich im Stande sein werde, mit dem zur Zeit mächtigen Winde
der Nationalität zu segeln. Aus alledem zog ich in dem Berichte,
den ich dem Könige erstattete, nicht die Consequenz, daß wir
irgend ein Bündniß mit Frankreich jetzt zu suchen hätten, wohl aber
die, daß wir auf treue Bundesgenossenschaft Oestreichs gegen Frank-
reich nicht zählen dürften und nicht hoffen könnten, die freie Zu-
stimmung Oestreichs zur Verbesserung unfrer Stellung in Deutsch-
land zu erlangen.
In Ermanglung jeder Art politischer Aufträge und Geschäfte
ging ich auf kurze Zeit nach England und trat am 25. Juli eine
längere Reise durch das südliche Frankreich an. In diese Zeit fällt
die nachstehende Correspondenz.
„Paris, 15. July 62 )).
Lieber Roon
Ich habe mir neulich viele Fragen darüber vorgelegt, warum Sie
telegraphisch Sich erkundigten, ob ich Ihren Brief vom 26. lv. M.]
erhalten hätte. Ich habe nicht darauf geantwortet, weil ich etwas
Neues über den Hauptgegenstand nicht geben, sondern nur empfangen
konnte. Seitdem ist mir ein Courier zugegangen, der mir seit
14 Tagen telegraphisch angemeldet war und in dessen Erwartung
ich 8 Tage zu früh von England zurückkam. Er brachte einen
Brief von Bernstorff, in Antwort auf ein Urlaubsgesuch von mir.
Ich bin hier jetzt überflüssig, weil kein Kaiser, kein Minister, kein
Gesandter mehr hier ist. Ich bin nicht sehr gesund, und diese
provisorische Existenz mit Spannung auf „ob und wie“ ohne eigent-
1) Bismarckbriefe (7. Aufl.) S. 347 ff., Roon's Denkwürdigkeiten II7 102 ff.