274 Zwölftes Kapitel: Rückblick auf die preußische Politik.
weniger Veranlassung vor, als die unfreundlichen Machenschaften,
die kurz vorher zwischen dem Kaiser Nicolaus und König Karl X.
stattgefunden hatten, dem Berliner Cabinete nicht unbekannt waren.
Die Gemüthlichkeit der fürstlichen Familienbeziehungen war bei uns
in der Regel stark genug, um russische Sünden zu decken, es fehlte
aber die Gegenseitigkeit. Im Jahre 1813 hatte Rußland ohne
Zweifel einen Anspruch auf preußische Dankbarkeit erworben;
Alexander I. war im Februar 1813 und bis zum Wiener Congreß
seiner Zusage, Preußen in dem status quo ante wiederherzustellen,
im Großen und Ganzen treu geblieben, gewiß ohne die russischen
Interessen zu vergessen, aber doch so, daß dankbare Erinnerungen
Friedrich Wilhelms III. für ihn natürlich blieben. — Solche Erinne-
rungen waren in meinen Knabenjahren bis zum Tode Alexanders,
1825, auch in unserm Publikum noch sehr lebhaft; russische Groß-
fürsten, Generale und gelegentlich in Berlin erscheinende Soldaten-
Abtheilungen genossen noch ein Erbtheil der Popularität, mit der
1813 die ersten Kosacken bei uns empfangen worden waren.
Flagrante Undankbarkeit, wie der Fürst Schwarzenberg sie
proclamirte, ist in der Politik wie im Privatleben nicht nur un-
schön, sondern auch unklug. Wir haben aber unfre Schuld aus-
geglichen, nicht nur zur Zeit der Nothlage der Russen bei Adria-
nopel 1829 und durch unser Verhalten in Polen 1831, sondern in
der ganzen Zeit unter Nicolaus I., der der deutschen Nomantik
und Gemüthlichkeit ferner stand als Alexander I., wenn er auch
mit seinen preußischen Verwandten und mit preußischen Offizieren
freundlich verkehrte. Unter seiner Regirung haben wir als russische
Vasallen gelebt, 1831, wo Rußland ohne uns kaum mit den Polen
fertig geworden wäre, namentlich aber in allen europäischen Con-
stellationen von 1831 bis 1850, wo wir immer russische Wechsel
acceptirt und honorirt haben, bis nach 1848 der junge östreichische
Kaiser dem russischen besser gefsiel als der König von Preußen, wo
der russische Schiedsrichter kalt und hart gegen Preußen und deutsche
Bestrebungen entschied und sich für die Freundschaftsdienste von