Dynastische Anhänglichkeit bei deutschen Stämmen. 293
thums von allen den Parteien, die bisher an der Herrschaft An-
theil gehabt haben, für nützlich gehalten, aber ich glaube nicht,
daß das Volk zerfallen oder daß ähnliche Gefühle, wie zur Zeit
der Jacobiten, sich thatkräftig geltend machen würden, wenn die
geschichtliche Entwicklung einen Dynastiewechsel oder den Ueber-
gang zur Republik für das britische Volk nöthig oder nützlich er-
scheinen ließe.
Das Vorwiegen der dynastischen Anhänglichkeit und die Un-
entbehrlichkeit einer Dynastie als Bindemittel für das Zusammen-
halten eines bestimmten Bruchtheils der Nation unter dem Namen
der Dynastie ist eine specifisch reichsdeutsche Eigenthümlichkeit. Die
besondern Nationalitäten, die sich bei uns auf der Basis des
dynastischen Familienbesitzes gebildet haben, begreifen in sich in den
meisten Fällen Heterogene, deren Zusammengehörigkeit weder auf der
Gleichheit des Stammes, noch auf der Gleichheit der geschichtlichen
Entwicklung beruht, sondern ausschließlich auf der Thatsache einer
in vielen Fällen anfechtbaren Erwerbung durch die Dynastie nach
dem Rechte des Stärkern, oder des erbrechtlichen Anfalls vermöge
der Verwandschaft, der Erbverbrüderung, oder der bei Wahl-
capitulationen von dem kaiserlichen Hofe erlangten Anwartschaft.
Welches immer der Ursprung dieser particularistischen Zusammen-
gehörigkeit in Deutschland ist, das Ergebniß derselben bleibt die
Thatsache, daß der einzelne Deutsche leicht bereit ist, seinen deut-
schen Nachbarn und Stammesgenossen mit Feuer und Schwert zu
bekämpfen und persönlich zu tödten, wenn infolge von Streitig-
keiten, die ihm selbst nicht verständlich sind, der dynastische Befehl
dazu ergeht. Die Berechtigung und Vernünftigkeit dieser Eigen-
thümlichkeit zu prüfen, ist nicht die Aufgabe eines deutschen Staats-
mannes, so lange sie sich kräftig genug erweist, um mit ihr
rechnen zu können. Die Schwierigkeit, sie zu zerstören und zu
ignoriren, oder die Einheit theoretisch zu fördern, ohne Rücksicht
auf dieses praktische Hemmniß, ist für die Vorkämpfer der Einheit
oft verhängnißvoll gewesen, namentlich bei Benutzung der günstigen