14 Erstes Kapitel: Bis zum Ersten Vereinigten Landtage.
anstalt war das „von“ vor meinem Namen ein Nachtheil für mein
kindliches Behagen im Verkehre mit Mitschülern und Lehrern. Auch
auf dem Gymnasium zum grauen Kloster habe ich einzelnen Lehrern
gegenüber unter dem Adelshasse zu leiden gehabt, der sich in einem
großen Theile des gebildeten Bürgerthums als Reminiscenz aus
den Zeiten vor 1806 erhalten hatte. Aber selbst die aggressive
Tendenz, die in bürgerlichen Kreisen unter Umständen zum Vor-
schein kam, hat mich niemals zu einem Vorstoße in entgegengesetzter
Richtung veranlaßt. Mein Vater war vom aristokratischen Vor-
urtheile frei, und sein inneres Gleichheitsgefühl war, wenn über-
haupt, nur durch die Offizierseindrücke seiner Jugend, keineswegs aber
durch Ueberschätzung des Geburtsstandes modificirt. Meine Mutter
war die Tochter des in den damaligen Hofkreisen für liberal
geltenden Cabinetsraths Friedrichs des Großen, Friedrich Wil-
helms II. und III. aus der Leipziger Professorenfamilie Mencken,
welche in ihren letzten, mir vorhergehenden Generationen nach
Preußen in den auswärtigen und den Hofdienst gerathen war.
Der Freiherr vom Stein hat meinen Großvater Mencken als einen
ehrlichen, stark liberalen Beamten bezeichnet. Unter diesen Um-
ständen waren die Auffassungen, die ich mit der Muttermilch ein-
sog, eher liberal als reactionär, und meine Mutter würde, wenn
sie meine ministerielle Thätigkeit erlebt hätte, mit der Richtung
derselben kaum einverstanden gewesen sein, wenn sie auch an den
äußern Erfolgen meiner amtlichen Laufbahn große Freude empfunden
haben würde. Sie war in bürokratischen und Hofkreisen groß ge-
worden; Friedrich Wilhelm IV. sprach von ihr als „Mienchen“ im
Andenken an Kinderspiele. Ich darf es darnach für eine ungerechte
Einschätzung meiner Auffassung in jüngern Jahren erklären, wenn
mir „die Vorurtheile meines Standes“ angeheftet werden und be-
hauptet wird, daß Erinnerung an Bevorrechtigung des Adels der
Ausgangspunkt meiner innern Politik gewesen wäre.
Auch die unumschränkte Autorität der alten preußischen Königs-
macht war und ist nicht das letzte Wort meiner Ueberzeugung.