Graf zur Lippe. Schreiben des. Königs an Vincke. 303
II.
Die staatsrechtliche Frage, um welche es sich in dem Conflicte
handelte, und die Auffassung derselben, welche das Ministerium
gewonnen und der König gutgeheißen hatte, ist in einem Schreiben
Sr. Majestät an den Oberstlieutenant Freiherrn von Vincke auf
Olbendorf bei Grottkau dargelegt, welches seiner Zeit in der Presse
erwähnt, aber, so viel ich mich erinnere, nicht vollständig veröffent-
licht worden ist 1), was dasselbe um so mehr verdient, als sich daraus
die Haltung des Königs in der Frage der Indemnität erklärt.
Herr von Vincke hatte ein Glückwunschschreiben zu Neujahr
1863 mit folgenden Sätzen geschlossen: „Das Volk hängt treu an
Ew. M., aber es hält auch fest an dem Recht, welches ihm der
Artikel 99 der Verfassung unzweidentig gewährt. Möge Gott die
unglücklichen Folgen eines großen Mißverständnisses in Gnaden
abwenden.“
Der König antwortete am 2. Januar 1863:
„Für Ihre freundlichen Glückwünsche beim Jahreswechsel danke
ich Ihnen bestens. Daß der Blick in das neue Jahr nicht freund-
lich ist, bedarf keines Beweises. Daß aber auch Sie in das Horn
stoßen, daß ich nicht die Stimmung des bei Weitem größten Theils
des Volkes kenne, ist mir unbegreiflich, und Sie müssen meine Ant-
worten an die vielen Loyalitäts-Deputationen nicht gelesen haben.
Immer und immer habe ich es wiederholt, daß mein Vertrauen
zu meinem Volk unerschüttert sey, weil ich wüßte, daß es mir
vertraue; aber Diejenigen, welche mir die Liebe und das Vertrauen
desselben rauben wollten, die verdamme ich, weil ihre Pläne nur
ausführbar sind, wenn dies Vertrauen erschüttert wird. Und daß
zu diesem Zwecke Jenen alle Wege recht sind, weiß die ganze
1) Es findet sich veröffentlicht bei L. Schneider, Aus dem Leben
Wilhelms I. Vd. 1 194/197.