Preußen und Oestreichs Haltung im polnischen Aufstand. 311
mit den Westmächten zu Gunsten der polnischen Bewegung bewies,
daß Oestreich die russische Rivalität in einem wieder auferstandenen
Polen nicht fürchtete. Hatte es doch dreimal, im April, im Juni
und unter dem 12. August mit Frankreich und England gemein-
same Schritte zu Gunsten der Polen in Petersburg gethan. „Wir
haben“, heißt es in der östreichischen Note vom 18. Juni!), „nach
den Bedingungen geforscht, durch die dem Königreiche Polen
Ruhe und Frieden wiedergegeben werden könnten, und sind dahin
gelangt, diese Bedingungen in den folgenden sechs Punkten zu-
sammen zu fassen, die wir der Erwägung des Cabinets von Sankt
Petersburg empfehlen: 1. Vollständige und allgemeine Amnestie,
2. Nationale Vertretung, welche an der Gesetzgebung des Landes
theilnimmt und Mittel einer wirksamen Controlle besitzt, 3. Er-
nennung von Polen zu den öffentlichen Aemtern in solcher Weise,
daß eine besondre nationale und dem Lande Vertrauen ein-
flößende Administration gebildet werde, 4. Volle und gänzliche Ge-
wissensfreiheit und Aufhebung der die Ausübung des katholischen
Cultus treffenden Beschränkungen, 5. Ausschließlicher Gebrauch der
polnischen Sprache als amtlicher Sprache in der Verwaltung, der
Justiz und dem Unterrichtswesen, 6. Einführung eines regelmäßigen
und gesetzlichen Rekrutirungssystems.“ Den Vorschlag Gortschakows,
daß Rußland, Oestreich und Preußen sich in's Einvernehmen setzen
möchten, um das Loos ihrer betreffenden polnischen Unterthanen
festzustellen, wies die östreichische Regirung mit der Erklärung
zurück, „daß das zwischen den drei Cabineten von Wien, London
und Paris hergestellte Einverständniß ein Band zwischen ihnen
bildet, von dem Oestreich sich jetzt nicht loslösen kann, um abge-
sondert mit Rußland zu unterhandeln“. Es war das die Situation,
in welcher Kaiser Alexander Sr. Majestät in eigenhändigem
Schreiben nach Gastein den Entschluß, den Degen zu ziehn, kund-
gab und Preußens Bündniß verlangte.
1) Im französischen Text im Staatsarchiv V 354 ff. Nr. 887.