354 Achtzehntes Kapitel: König Ludwig II. von Baiern.
Kaisers niemals als eine Beeinträchtigung ihrer eignen europäischen
Stellung empfunden haben.
v. Bismarck.
Mein lieber Graf!
Mit lebhaftem Vergnügen habe ich bemerkt, daß Sie trotz
zahlreicher und dringender Geschäfte Muße gefunden, Ihren Ge-
fühlen gegen mich Ausdruck zu verleihen.
Ich sende Ihnen deshalb meinen wärmsten Dank; denn ich
lege hohen Werth auf die ergebene Gesinnung eines Mannes, nach
dem das ganze Deutschland freudigen Stolzes seine Blicke richtet.
Mein Brief an Ihren König, meinen vielgeliebten hochver-
ehrten Oheim, wird morgen in dessen Hände gelangen. — Ich
wünsche von ganzem Herzen, daß mein Vorschlag beim Könige,
den übrigen Bundesgliedern, welchen ich geschrieben, und auch bei
der Nation vollsten Anklang finde, und ist es mir ein befriedigen-
des Bewußtsein, daß ich vermöge meiner Stellung in Deutschland
wie beim Beginne so beim Abschlusse dieses ruhmreichen Krieges
in der Lage war, einen entscheidenden Schritt zu Gunsten der
nationalen Sache thun zu können. Ich hoffe aber auch mit Be-
stimmtheit, daß Bayern seine Stellung fortan erhalten bleibt, da
sie mit einer treuen, rückhaltlosen Bundespolitik wohl vereinbar-
lich ist und verderblicher Centralisation am sichersten steuert.
Groß, unsterblich ist das, was Sie für die deutsche Nation
gethan haben, und ohne zu schmeicheln, darf ich sagen, daß Sie
in der Reihe der großen Männer unseres Jahrhunderts den her-
vorragendsten Platz einnehmen. Möge Gott Ihnen noch viele,
viele Jahre verleihen, damit Sie fortfahren können zu wirken für
das Wohl und Gedeihen unseres gemeinsamen Vaterlandes. Meine
besten Grüße Ihnen sendend, bleibe ich, mein lieber Graf, stets
Hohenschwangau, den 2. December 1870.
Ihr
aufrichtiger Freund
Ludwig.