Briefwechsel mit Ludwig von Bayern. 355
Versailles, 24. December 1870 7.
Allerdurchlauchtigster König,
Allergnädigster Herr,
Das huldreiche Schreiben Eurer Majestät, welches Graf Holn-
stein mir überbracht hat, ermuthigt mich mit meinem Danke für
den gnädigen Inhall desselben, Eurer Majestät meine unterthänig-
sten Glückwünsche zu dem bevorstehenden Jahreswechsel darzubringen.
Wohl selten hat Deutschland von einem neuen Jahre mit gleicher
Zuversicht wie von dem bevorstehenden die Erfüllung nationaler
Wünsche erwartet. Wenn diese Hoffnungen sich verwirklichen,
wenn das geeinte Deutschland dahin gelangt, daß es seinen äußern
Frieden in gesicherten Grenzen durch eigne Kraft verbürgen kann,
gleichzeitig, ohne die freie Entwicklung der einzelnen Bundesglieder
zu beeinträchtigen, so wird die entscheidende Stellung, die Eure
Majestät zu der Neugestaltung des gemeinsamen Vaterlandes ge-
wonnen haben, in der Geschichte und in der Dankbarkeit der
Deutschen jederzeit unvergessen bleiben.
Eure Majestät setzen mit Recht voraus, daß auch ich von der
Centralisation kein Heil erwarte, sondern grade in der Erhaltung
der Rechte, welche die Bundesverfassung den einzelnen Gliedern
des Bundes sichert, die dem deutschen Geiste entsprechende Form
der Entwicklung und zugleich die sicherste Bürgschaft gegen die
Gefahren erblicke, welchen Recht und Ordnung in der freien Be-
wegung des heutigen politischen Lebens ausgesetzt sein können.
Dafß die Herstellung der Kaiserwürde durch Initiative Eurer Majestät
und der verbündeten Fürsten den monarchisch-conservativen Inter-
essen förderlich ist, beweist die feindliche Stellung, welche die
republikanische Partei in ganz Deutschland zu derselben genom-
men hat.
1) Nach dem Concept; in der Reinschrift hat der Brief einige stilistische
Aenderungen erfahren.