68 Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden.
Zeit des Ersten Vereinigten Landtags gerühmt, daß er als Oberst
eines Kavallerie-Regiments hunderte von Meilen zu Pferde zurück-
gelegt habe, um oppositionelle Wahlen der Bauern zu fördern #).
Im November 1850 wurde ich gleichzeitig als Landwehr-
Offizier zu meinem Regimente und als Abgeordneter zu der be-
vorstehenden Kammersession einberufen ). Auf dem Wege über
Berlin zu dem Marschquartier des Regiments meldete ich mich
bei dem Kriegsminister von Stockhausen, der mir persönlich be-
freundet und für kleine persönliche Dienste dankbar war. Nach-
dem ich den Widerstand des alten Portiers überwunden und vor-
gelassen war, gab ich meiner durch die Einberufung und den Ton
der Oestreicher etwas erregten kriegerischen Stimmung Ausdruck.
Der Minister, ein alter, schneidiger Soldat, dessen moralischer und
physischer Tapferkeit ich sicher war, sagte mir in der Hauptsache
Folgendes:
„Wir müssen für den Augenblick den Bruch nach Möglichkeit
vermeiden. Wir haben keine Macht, welche hinreichte, die Oest-
reicher, auch wenn sie ohne sächsische Unterstützung bei uns ein-
brechen, aufzuhalten. Wir müssen ihnen Berlin preisgeben und
1) General Friedrich von Gagern wurde bekanntlich am 20. April 1848
von den Kugeln badischer Freischärler bei Kandern getödtet, als er von einer
erfolglosen Unterredung mit Hecker zu seiner Truppe zurückritt.
2) Nach einer Randbemerkung im Manufkripte beabsichtigte Fürst Bis-
marck an dieser Stelle ein Erlebniß einzuschalten, dessen er wiederholt in seinen
Tischgesprächen gedacht hat. Ich gebe die Erzählung, wie sie mir im Gedächtniß
haftet. Als Bismarck sich mit der Einberufungsordre in der Tasche auf dem
Wege nach Berlin befand, stieg ein pommerscher Schulze, des Namens Stranzke,
zu ihm in den Postwagen. Das Gespräch lenkte sich selbstverständlich bald auf
die politischen Ereignisse. Als Stranzke von der Einberufungsordre hörte,
fragte er ganz naiv: „Wo steiht de Franzos?" und war sichtlich enttäuscht, als
ihm Herr v. Bismarck mittheilte, daß es diesmal nicht gegen die Franzosen,
sondern gegen die Oestreicher gehn werde. „Das sollte mir doch leid thun,
wenn wir auf die „-weißen Collets“ schießen sollten,“ meinte er, „und nicht
auf die Hundsfötter von Franzosen.“ So lebendig lebte in ihm die Er-
innerung an die Leidenszeit Preußens nach der Niederlage von Jena und an
die preußisch-östreichische Waffenbrüderschaft von 1813/14.