Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

74 Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden. 
entwaffnen, als bis die freien Conferenzen ein positives Resultat 
gegeben haben; dann bleibt es noch immer Zeit, einen Krieg 
zu führen, wenn wir ihn wirklich mit Ehren nicht vermeiden 
können oder nicht vermeiden wollen. 
Wie in der Union die deutsche Einheit gesucht werden soll, 
vermag ich nicht zu verstehn; es ist eine sonderbare Einheit, die 
von Hause aus verlangt, im Interesse dieses Sonderbundes einst- 
weilen unsre deutschen Landsleute im Süden zu erschießen und 
zu erstechen; die die deutsche Ehre darin findet, daß der Schwer- 
punkt aller deutschen Fragen nothwendig nach Warschau und Paris 
fällt. Denken Sie sich zwei Theile Deutschlands einander in Waffen 
gegenüber, deren Machtverschiedenheit nicht in dem Grade bedeutend 
ist, daß nicht eine Parteinahme auf einer Seite, auch von einer 
geringern Macht als Rußland und Frankreich, ein entscheidendes 
Gewicht in die Wagschale legen könnte, und ich begreife nicht, mit 
welchem Recht Jemand, der ein solches Verhältniß selbst herbei- 
führen will, sich darüber beklagen darf, daß der Schwerpunkt der 
Entscheidung unter solchen Umständen nach dem Auslande fällt.“ 
Mein leitender Gedanke bei meiner Rede war, im Sinne der 
Ueberzeugung des Kriegsministers für den Aufschub des Krieges zu 
wirken, bis wir gerüstet sein würden. In seiner Klarheit konnte 
ich aber den Gedanken nicht öffentlich aussprechen, ich konnte ihn 
nur andeuten. Es wäre kein übermäßiger Anspruch an Geschick- 
lichkeit unsrer Diplomatie gewesen, von ihr zu verlangen, daß sie 
den Krieg nach Bedürfniß verschieben, verhüten oder zum Ausbruch 
bringen solle. 
Zu jener Zeit, November 1850, war die russische Auffassung 
der revolutionären Bewegung in Deutschland schon eine viel ruhigere 
als bei dem ersten Ausbruche im März 1848. Ich war befreundet 
mit dem russischen Militär-Attaché Grafen Benckendorf und erhielt 
1850 im vertrauten Gespräche mit ihm den Eindruck, daß die 
deutsche einschließlich der polnischen Bewegung im Petersburger 
Cabinete nicht mehr in demselben Maße wie bei ihrem Ausbruche
	        
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