80 Viertes Kapitel: Diplomat.
Unter dem 15. Juli erfolgte meine Ernennung zum Bundes-
tagsgesandten. Ungeachtet der Rücksicht, mit welcher er behandelt
wurde, war Herr von Rochow verstimmt und ließ mich die Ver-
eitelung seines Wunsches entgelten, indem er Frankfurt eines
Morgens früh verließ, ohne mich von seiner Abreise unterrichtet
und mir die Geschäfte und die Akten übergeben zu haben. Von
andrer Seite benachrichtigt, kam ich zur rechten Zeit nach dem
Bahnhofe, um ihm meinen Dank für das mir bewiesene Wohl-
wollen auszudrücken. — Ueber meine Thätigkeit und meine Wahr-
nehmungen am Bundestage ist so viel Amtliches und Privates ver-
öffentlicht worden 1), daß mir nur eine Nachlese übrig bleibt.
Ich fand in Frankfurt zwei preußische Commissarien aus der
Zeit des Interim, den Oberpräsidenten von Boetticher, dessen Sohn
später als Staatssekretär und Minister mein Beistand sein sollte,
und den General von Peucker, der mir Gelegenheit zu meinen
ersten Studien über das Ordenswesen gab. Er war ein gescheidter,
tapferer Offizier von hoher wissenschaftlicher Bildung, die er später
als Generalinspecteur des Militär-Erziehungs= und Bildungswesens
verwerthen konnte. Im Jahre 1812 in dem Vorl'schen Corps
dienend, hatte er durch Diebstahl seinen Mantel eingebüßt, den
Rückzug in der knappen Uniform machen müssen, sich die Zehen
erfroren und durch die Kälte anderweitige Schäden erlitten. Trotz
seiner äußerlichen Unschönheit gewann dieser kluge und tapfere
Offizier die Hand einer hübschen Gräfin Schulenburg, durch welche
später das reiche Erbe des Hauses Schenck von Flechtingen in der
Altmark an seinen Sohn gelangte. In merkwürdigem Contrast
mit seiner geistigen Bedeutung stand seine Schwäche für Aeußer=
lichkeiten, die den Berliner Jargon um einen Ausdruck bereicherte.
1) Preußen im Bundestage 1851—1859. Documente der K. Preuß.
Bundestags-Gesandtschaft. Herausgegeben von Dr. Ritter v. Poschinger. 4 Bde.
pz. 1882—1884. — Bismarck's Briefe an den General Leopold v. Gerlach.
Herausgegeben von H. Kohl. Berlin 1896. — Bismarckbriefe. Herausgegeben
von H. Kohl. 7. Auflage. Bielefeld 1898 S. 100 ff. «