106 Dreiundzwanzigstes Kapitel: Versailles.
Kaiser nicht ihn, sondern den Grafen Schuwalow als Haupt-
bevollmächtigten ernannt hatte, so daß nur dieser und nicht Gor-
tschakow über die russische Stimme verfügte. Gortschakow hatte
seine Mitgliedschaft des Congresses dem Kaiser gegenüber gewisser-
maßen erzwungen, was in Folge der rücksichtsvollen Behandlung,
die im russischen höhern Dienste verdienten Staatsmännern gegen-
über Tradition ist, gelingen konnte. Er suchte noch auf dem
Congresse seine russische Popularität im Sinne der Moskauer
Zeitung nach Möglichkeit frei zu halten von den Nückwirkungen
russischer Concessionen, und bei Congreßsitzungen, wo solche in
Aussicht standen, blieb er aus, unter dem Vorwande des Unwohl-
seins, trug aber Sorge, sich am Parterrefenster seiner Wohnung,
unter den Linden, als gesund sehn zu lassen. Er wollte sich die
Möglichkeit wahren, vor der russischen „Gesellschaft“ in Zukunft
zu behaupten, daß er an den russischen Concessionen unschuldig
wäre: ein unwürdiger Egoismus auf Kosten seines Landes.
Außerdem blieb der russische Abschluß auch nach dem Congresse
immer noch einer der günstigsten, wo nicht der günstigste, den Ruß-
land jemals nach türkischen Kriegen gemacht hat. Directe Erobe-
rungen für Rußland waren die in Kleinasien, Batum, Kars u. s. w.
Aber wenn Rußland wirklich es in seinen Interessen gefunden hat,
die Balkanstaaten griechischer Confession von der türkischen Herr-
schaft zu emancipiren, so war doch auch in dieser Richtung ein
ganz gewaltiger Fortschritt des griechisch-christlichen Elements, und
noch mehr ein erheblicher Rückzug der Türkenherrschaft das Er-
gebniß. Zwischen den ursprünglichen, Ignatieffschen Friedens-
bedingungen von San Stefano und dem Congreßergebnisse war
der Unterschied politisch bedeutungslos, wie die Leichtigkeit des Ab-
falls Südbulgariens und dessen Anschluß an das nördliche beweist.
Und selbst wenn er nicht stattgefunden hätte, blieb die russische
Gesammterrungenschaft nach dem Kriege auch in Folge der Con-
greßbeschlüsse eine glänzendere als die frühern.
Daß Rußland Bulgarien durch Verleihung an den Neffen der