Full text: Gedanken und Erinnerungen. Zweiter Band. (2)

116 Dreiundzwanzigstes Kapitel: Versailles. 
ein Neutrum bleiben, „das Präsidium"? In dem Ausdrucke „Präsi- 
dium liegt eine Abstraction, in dem Worte „Kaiser“ eine große 
Schwungkraft“ 70. 
Auch bei dem Kronprinzen habe ich für mein Streben, den 
Kaisertitel herzustellen, welches nicht einer preußisch-dynastischen 
Eitelkeit, sondern allein dem Glauben an seine Nützlichkeit für 
Förderung der nationalen Einheit entsprang, im Anfange der gün- 
stigen Wendung des Krieges nicht immer Anklang gefunden. Seine 
Königliche Hoheit hatte von irgend einem der politischen Phantasten, 
denen er sein Ohr lieh, den Gedanken aufgenommen, die Erbschaft 
des von Karl dem Großen wiedererweckten „römischen“ Kaiser- 
thums sei das Unglück Deutschlands gewesen, ein ausländischer, für 
die Nation ungesunder Gedanke. So nachweisbar letztres auch 
geschichtlich sein mag, so unpraktisch war die Bürgschaft gegen 
analoge Gefahren, welche des Prinzen Rathgeber in dem Titel 
„König“ der Deutschen sahen. Es lag heut zu Tage keine Gefahr 
vor, daß der Titel, welcher allein in der Erinnerung des Volkes 
lebt, dazu beitragen würde, die Kräfte Deutschlands den eignen 
Interessen zu entfremden und dem transalpinen Ehrgeize bis nach 
Apulien hin dienstbar zu machen. Das aus einer irrigen Vor- 
stellung entspringende Verlangen, das der Prinz gegen mich aus- 
sprach, war nach meinem Eindrucke ein völlig ernstes und ge- 
schäftliches, dessen Inangriffnahme durch mich gewünscht wurde. 
Mein Einwand, anknüpfend an die Coexistenz der Könige von 
Bayern, Sachsen, Würtemberg mit dem intendirten Könige in 
Germanien oder Könige der Deutschen führte zu meiner Ueber- 
raschung auf die weitre Consequenz, daß die genannten Dynastien 
aufhören müßten, den Königstitel zu führen, um wieder den 
herzoglichen anzunehmen. Ich sprach die Ueberzeugung aus, daß 
sie sich dazu gutwillig nicht verstehn würden. Wollte man da- 
gegen Gewalt anwenden, so würde dergleichen Jahrhunderte hin- 
1) S. o. S. 57.
	        
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