136 Vierundzwanzigstes Kapitel: Culturkampf.
gelten nur bis auf Weitres; die politischen Beziehungen zwischen
unabhängigen Mächten bilden sich in ununterbrochnem Flusse, ent—
weder durch Kampf oder durch die Abneigung der einen oder der
andern Seite vor Erneuerung des Kampfes. Eine Versuchung zur
Erneuerung des Streites in Deutschland wird für die Curie stets
in der Entzündlichkeit der Polen, in der Herrschsucht des dortigen
Adels und in dem durch die Priester genährten Aberglauben der
untern Volksschichten liegen. Ich habe im Kissinger Lande deutsche
und schulgebildete Bauern gefunden, die fest daran glaubten, daß
der am Sterbebette im sündigen Fleische stehende Priester den
Sterbenden durch Verweigerung oder Gewährung der Absolution
direct in die Hölle oder den Himmel schicken könne, man ihn also
auch politisch zum Freunde haben müsse. In Polen wird es
mindestens ebenso sein oder schlimmer, weil dem ungebildeten
Manne eingeredet ist, daß deutsch und lutherisch ebenso wie pol—
nisch und katholisch identische Begriffe seien. Ein ewiger Friede
mit der römischen Curie liegt nach den gegebenen Lebensbedingungen
ebenso außerhalb der Möglichkeit, wie ein solcher zwischen Frank-
reich und dessen Nachbarn. Wenn das menschliche Leben überhaupt
aus einer Reihe von Kämpfen besteht, so trifft das vor Allem bei
den gegenseitigen Beziehungen unabhängiger politischer Mächte zu,
für deren Regelung ein berufenes und vollzugsfähiges Gericht nicht
vorhanden ist. Die römische Curie aber ist eine unabhängige poli-
tische Macht, zu deren unabänderlichen Eigenschaften derselbe Trieb
zum Umsichgreifen gehört, der unsern französischen Nachbarn inne-
wohnt. Für den Protestantismus bleibt ihr das durch kein Con-
cordat zu beruhigende aggressive Streben des Proselytismus und
der Herrschsucht; sie duldet keine Götter neben ihr.