Zersetzung der conservativen Partei. 145
bedeutungsschwere Sache gehalten werden würde, für einen Vor—
gang, der Sie und die Regierung zu einem gehorsamen Werkzeug
der liberalen Partei herabwürdigen müßte. Zwar verstehe ich, daß
es für unsre Politik nützlich, wenn die Liberalen die Hoffnung be—
halten, die Hand mit an's Ruder legen zu können. Aber ebenso
begreife ich, daß es schädlich sein würde, wenn die Situation sich
so gestaltete, daß ihre Theilnahme am Regiment eine unvermeid-
liche Nothwendigkeit wäre. Sie werden dagegen vielleicht bemerken,
daß die Verworrenheit, Rath= und Kopflosigkeit der Conservativen
— ganz abgesehen von der neidischen und boshaften Ueberhebung
Einzelner — von selbst dahin führen werde, und daß Sie dagegen
nichts thun können. Aber ist denn das ganz richtig? Hätten Sie
Ihre bedeutenden Ressourcen ernstlich dazu verwandt, die conservative
Partei, die leider noch immer nicht klar erkennt, daß ihre heutige
Aufgabe eine andre sein muß, als 1862 und in den folgenden
Jahren, zu endoctriniren und zu organisiren, und wollen Sie das
heute noch versuchen, so wird nicht nur die Mesalliance mit den
Liberalen vermieden werden können, sondern auch aus der refor-
mirten conservativen Partei der dauerhafteste und sicherste Stab
für die Wanderung auf dem schwierigen aber unvermeidlichen Wege
conservativen Fortschritts in innerer reformatorischer Erneuerung
gemacht werden können. — Wohl kann Ein Mensch, wie bedeutend
er auch von Gott ausgestattet worden, nicht Alles selbst thun, was
gethan werden muß. Indem ich dies ausspreche, schließe ich jeden
Vorwurf aus, der für Sie in Vorstehendem gefunden werden könnte.
Ich erkenne vielmehr gern und wiederholt an, daß Ihre amtlichen
Helfer Ihnen und Ihren Zielen nicht die entsprechende Unterstützung
gewähren. Und wenn ich von der Reform der conservativen Partei
sprach, so erkenne ich an, daß diese Aufgabe zunächst die des
Ministers des Innern sein sollte. Aber besitzt Graf E. das zu der
Lösung derselben unentbehrliche Vertrauen? (und Pflichtgefühl!) 1)
1) Zusatz Bismarcks.
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 10